Recht und Wissenschaft in Österreich

VfGH: Rückführung einer in Griechenland Schutzberechtigten unzulässig


Der VfGH gab mit Erkenntnis vom 25.6.2021, E 599/2021, der Beschwerde einer in Griechenland schutzberechtigen afghanischen Staatsangehörigen statt und hob das Erkenntnis des BVwG wegen einer Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (Art I Abs 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) auf. Das BFA wies zunächst den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach zugleich aus, dass sich die Beschwerdeführerin nach Griechenland zurückzubegeben habe. Ferner erteilte das BFA keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005, ordnete die Außerlandesbringung nach § 61 Abs 1 Z 1 FPG an und stellte fest, dass die Abschiebung nach Griechenland gemäß § 61 Abs 2 FPG zulässig sei. Das BVwG wies die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

Gemäß § 4a AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Der VfGH wies in seiner Entscheidung zunächst auf die Judikatur des EuGH zu Art 33 Abs 2 lit a der Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU) hin, der zufolge eine Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz, weil bereits von einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt worden ist, dann zu unterbleiben hat, wenn die Lebensverhältnisse, die die antragstellende Partei in dem anderen Mitgliedstaat als anerkannter Flüchtling erwarten würde, sie der ernsthaften Gefahr aussetzten, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung iSd Art 4 GRC bzw des diesem entsprechenden Art 3 EMRK zu erfahren (EuGH 13.11.2019, Rs C-540/17 ua, Hamed ua, Rz 43; ferner bereits EuGH 19.3.2019, Rs C-297/17 ua, Ibrahim ua, Rz 101).

Das mit der Rechtssache befasste Gericht – wie zuvor auch die befasste Behörde – trifft sohin die Verpflichtung, „auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen“, die einer Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz entgegenstehen (EuGH, 19.3.2019, Rs C-163/17, Jawo, Rz 90 und EuGH, Ibrahim ua, Rz 88). Diese „Schwachstellen“ sind nur dann im Hinblick auf Art 4 GRC bzw Art 3 EMRK relevant, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen (EuGH, Jawo, Rz 91 mit Verweis auf EGMR 21.1.2011 [GK], Fall M.S.S./Belgien und Griechenland, Appl 30696/09), indem etwa „die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (EuGH, Jawo, Rz 92 und EuGH, Ibrahim ua, Rz 90).

In dem der Entscheidung des VfGH zugrundeliegenden Anlassfall begründete das BVwG seine Entscheidung, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr keine gegen Art 4 GRC bzw Art 3 EMRK verstoßende Behandlung drohen werde, weitgehend mit der Gleichstellung von griechischen Staatsangehörigen und anerkannten Flüchtlingen und wies pauschal auf Hilfsangebote von NGOs sowie darauf hin, dass die Beschwerdeführerin nach einer Übergangsphase der Unterstützung grundsätzlich gehalten sei, sich selbst ihre Existenz zu sichern, insb. sich selbst eine Unterkunft zu suchen.

Für den VfGH stand diese Begründung in einem deutlichen Spannungsfeld zu den allgemein die Situation für Schutzberechtigte in Griechenland beschreibenden, vom BVwG auch wiedergegebenen Länderinformationen, sodass es ohne nähere Auseinandersetzung mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Feststellungen in den Länderberichten nicht nachvollziehbar sei, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr keine reale Gefahr einer Art 3 EMRK verletzenden Behandlung drohen werde. Zwar treffe zu, dass anerkannten Schutzberechtigten nach Art 20 ff der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) grundsätzlich „nur“ ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zustehe. Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich jedoch etwa nicht damit auseinander, ob die von Art 34 der Qualifikationsrichtlinie geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen angeboten würden (vgl. dazu das deutsche BVerfG 31.7.2018, 2 BvR 714/18, Rz 23). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch das BVwG davon ausgegangen sei, dass die Beschwerdeführerin für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe angewiesen sein werde, hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wieweit für die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland zumindest in der ersten Zeit Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt sei. Das BVwG habe sohin in entscheidenden Punkten die notwendige Ermittlungstätigkeit unterlassen und dadurch sein Erkenntnis mit Willkür belastet.

Bearbeitet von: Dr. Daniela Bereiter, verfassungsrechtliche Mitarbeiterin am Verfassungsgerichtshof

Foto: ©VfGH/Achim Bieniek


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