VfGH: Zurückweisung eines Asylantrags eines Unionsbürgers
14. September 2021 in
Rechtsprechung
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Tags: Asyl, EMRK, Protokoll Nr. 24 zum Vertrag von Lissabon, Unionsbürger
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Der VfGH wies mit Erkenntnis vom 22. Juni 2021, E 2546/2020, eine Beschwerde eines litauischen Staatsangehörigen ab, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte. Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines Asylantrages vor, dass er litauischer Jude, Jurist sowie Menschenrechtsaktivist sei. Er habe in Vilnius eine Gedenktafel für einen litauischen General zerstört, der im Jahr 1941 für das Zusammentreiben der Juden in Ghettos und die Ermordung von 14.000 Juden verantwortlich gewesen sei; darunter seien auch 22 Verwandte des Beschwerdeführers gewesen. Nachdem er die Gedenktafel zerstört habe, sei er für 54 Stunden unter unmöglichen Bedingungen gefangen gehalten worden, obwohl eine Festnahme nur für 48 Stunden zulässig sei. Er sei geschlagen worden und habe lediglich Schweinefleisch bekommen, das er als Jude aus religiösen Gründen jedoch nicht essen habe können; weiters habe er eine 2 m² große Zelle mit einem weiteren Insassen teilen müssen, ohne duschen oder die Toilette unter Achtung der Privatsphäre benutzen zu können. Er habe nicht mit seinem Rechtsanwalt sprechen können und sei direkt zu Gericht gefahren worden, ohne dass es ihm möglich gewesen wäre, seinen Fall vorzubereiten.
Der VfGH sprach im vorliegenden Erkenntnis aus, dass ein Asylantrag eines Unionsbürgers gemäß dem anzuwendenden Einzigen Artikel des Protokolls Nr. 24 zum Vertrag von Lissabon nur berücksichtigt oder zur Bearbeitung zugelassen werden dürfe, wenn einer der in diesem Artikel genannten Ausnahmetatbestände vorliege. Die ersten drei Tatbestände (lit. a bis c) des Protokolls Nr. 24 betreffen das Aussetzen der Europäischen Menschenrechtskonvention im Notstandsfall (Art. 15 EMRK) sowie die Einleitung oder den Abschluss eines Verfahrens gemäß Art. 7 EUV; diese Tatbestände waren im vorliegenden Verfahren unstrittig nicht erfüllt.
Der VfGH wies in seiner Entscheidung aber darauf hin, dass lit. d des Einzigen Artikels des Protokolls Nr. 24 eine Einzelfallprüfung des Schutzersuchens eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates zulasse, und zwar „wenn ein Mitgliedstaat in Bezug auf den Antrag eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats einseitig einen solchen Beschluss fasst“. Dabei wird „von der Vermutung ausgegangen, dass der Antrag offensichtlich unbegründet ist“.
Der Asylwerber habe aber – so der VfGH – die Möglichkeit, die Vermutung der offensichtlichen Unbegründetheit seines Asylantrages zu widerlegen, indem er nachweist, dass ausnahmsweise eine inhaltliche Prüfung seines Schutzersuchens erforderlich ist, um den Verpflichtungen Österreichs nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu entsprechen. Dazu sei es Aufgabe des Asylwerbers, mit näherer Begründung darzulegen, warum er sich nicht des Schutzes des Herkunftsstaates – und insbesondere der dortigen Gerichte – bedienen konnte, um einer privaten oder (punktuellen) staatlichen Verfolgung zu entgehen.
Im vorliegenden Fall sei dem BVwG nach Auffassung des VfGH nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer die Vermutung der offensichtlichen Unbegründetheit seines Asylantrages mit seinem Vorbringen nicht zu entkräften vermochte: Der Beschwerdeführer habe sich mit seinem Vorbringen gegen seine Behandlung durch die litauischen Sicherheitsbehörden gewendet. Er habe gegen die Behandlung in der Haft und seine Verurteilung im Herkunftsstaat eine Beschwerde bzw. ein Rechtsmittel erhoben. Laut dem angefochtenen Erkenntnis lägen die diesbezüglichen Gerichtsentscheidungen noch nicht vor. Der Beschwerdeführer habe darüber hinaus auch kein konkretes Vorbringen dazu erstattet, warum die litauischen Gerichte nicht willens bzw. fähig seien, im Rahmen der erhobenen Rechtsmittel Abhilfe gegen die behaupteten Rechtsverstöße zu schaffen.
Bearbeitet von: Dr. Andreas Frössel, verfassungsrechtlicher Mitarbeiter am Verfassungsgerichtshof
Foto: ©VfGH/Achim Bieniek