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EuGH: Rechtsbehelf für minderjährigen Antragsteller gegen ablehnende Dublin-Entscheidung


Einem minderjährigen Antragsteller muss ein wirksamer Rechtsbehelf gegen eine ablehnende Entscheidung über ein Aufnahmegesuch zur Zusammenführung mit einem Verwandten in einem Mitgliedstaat nach Art 8 Abs 2 Dublin-III-VO eingeräumt werden (EuGH 1.8.2022, C-19/21).

Mit Urteil vom 1. August 2022, Rechtssache C-19/21, entschied der EuGH über ein Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag in einem Rechtsstreit zwischen I, S und dem Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid wegen dessen Ablehnung eines auf die Aufnahme von I gerichteten Gesuchs der griechischen Behörden.

I, der die ägyptische Staatsangehörigkeit besitzt, stellte – damals noch minderjährig – am 23. Dezember 2019 in Griechenland einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab dabei an, eine Zusammenführung mit seinem rechtmäßig in den Niederlanden aufhältigen Onkel, S, zu wünschen.

Ein Aufnahmegesuch der griechischen Behörden wurde vom niederländischen Staatssekretär mit der Begründung abgelehnt, I’s Identität und damit auch das von ihm behauptete Verwandtschaftsverhältnis zu S könnten nicht nachgewiesen werden. Ein von I und S beim Staatssekretär eingebrachter Rechtsbehelf wurde als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen, da die Dublin-III-VO keine Möglichkeit vorsehe, gegen die Ablehnung eines Aufnahmegesuchs vorzugehen. I und S beantragten in der Folge bei der Rechtbank Den Haag mit Verweis auf Art 27 Abs 1 der Dublin-III-VO, der diese Möglichkeit einräume, die Aufhebung dieser Entscheidung. Das Bezirksgericht Den Haag legte den Fall daraufhin dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

Der EuGH prüft in seinem Urteil, ob sich aus Art 27 Abs 1 der Dublin-III-VO iVm Art 47 der Europäischen Grundrechtecharta (GRC) die Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaats ableiten lässt, einem minderjährigen unbegleiteten Antragsteller, der eine Überstellung nach Art 8 Abs 2 Dublin-III-VO begehrt, oder seinem Verwandten einen wirksamen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Aufnahmegesuchs zur Verfügung zu stellen.

Der EuGH führt aus, dass eine restriktive Auslegung von Art 27 anderen in der Verordnung festgelegten Rechten des Asylwerbers, insbesondere dessen vom Unionsgesetzgeber beabsichtigte Mitwirkung am Verfahren, die praktische Wirksamkeit nehmen würde, da die effektive gerichtliche Kontrolle einer fehlerhaften Anwendung der in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht möglich wäre. In der Entscheidung vom 7. Juni 2016, Ghezelbash (C-63/15) sprach der EuGH daher aus, dass ein Asylwerber eine Entscheidung über seine Überstellung mittels eines Rechtsbehelfs bekämpfen können muss (Rz 39, 40).

Ist ein unbegleiteter Minderjähriger betroffen, darf für die Einhaltung der verbindlichen Zuständigkeitsbestimmung nach Art 8 Abs 2 Dublin-III-VO hinsichtlich der Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs nicht danach unterschieden werden, ob es sich um eine Überstellungsentscheidung (= eine die Überstellung bewilligende Entscheidung) oder eine ablehnende Entscheidung handelt (Rz 41). Es muss also, so der EuGH, dem Minderjährigen in beiden Fällen möglich sein, die Verletzung seines aus Art 8 Abs 2 Dublin-III-VO herrührenden Rechts zu rügen (Rz 45). Darüber hinaus betont der EuGH die Bedeutung des Kindeswohls bei Anwendung von Unionsrecht und verweist auf den 13. Erwägungsgrund der Dublin-III-VO, wonach Minderjährige aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit besonderer Verfahrensgarantien bedürfen (Rz 47).

Demgegenüber ist für den Verwandten im ersuchten Mitgliedstaat weder aus Art 27 Abs 1 noch aus sonstigen Bestimmungen der Dublin-III-VO oder der GRC ein Recht auf einen Rechtsbehelf ableitbar (Rz 50).

Bearbeitet von: Elias Faller, B.A.


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