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Herkunftsländerinformationen: Conditio sine qua non in Verfahren für die Zuerkennung von internationalem Schutz

28. Februar 2024 in Beiträge
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Tags: ACCORD, COI, Herkunftsländer, Herkunftsländerinformation, Länderinformationen

Maria Gruber, MSc. MA

Maria Gruber, MSc. MA ist Mitarbeiterin von ACCORD, der Abteilung für Herkunftsländerinformation des Österreichischen Roten Kreuzes. Sie war maßgeblich an der Herausgabe der neuen Edition des ACCORD Training Manual Researching Country of Origin Information beteiligt.

Mag. Reinhold Jawhari

Mag. Reinhold Jawhari leitet ACCORD, die Abteilung für Herkunftsländerinformation des Österreichischen Roten Kreuzes.


Herkunftsländerinformationen (Country of Origin Information, COI) stellen eine zentrale Säule bei Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz dar. Dieser Blogbeitrag gibt einen Überblick über die Rolle von COI im Verfahren. Auch die Standards, die die Qualität und Zuverlässigkeit von COI im Kontext von Verfahren für die Zuerkennung von internationalem Schutz maßgeblich bestimmen, werden kurz erläutert.

Unter Herkunftsländerinformationen werden jene Informationen verstanden, die Aufschluss über Bedingungen in Herkunftsländern von Asylsuchenden geben und so für Verfahren zur Bestimmung des Schutzstatus von Relevanz sind. 2004 definierte UNHCR richtige und zuverlässige Informationen als eine conditio sine qua non für die Feststellung des internationalen Schutzbedarfs sowie für die Entwicklung von Strategien, die mitunter freiwillige Rückkehr, aber auch die Beendigung oder Rücknahme des Schutzstatus umfassen können. Laut der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) soll COI bei fairen Entscheidungen in Verfahren unterstützen, nicht aber Entscheidungen vorgeben. COI unterscheidet sich in ihrem Wesen von sogenannten Leitlinien zu spezifischen Herkunftsländern („country guidance“) und von rechtlichen Bewertungen zu den Bedingungen in Herkunftsländern oder zur Lage bestimmter Gruppen, sie bildet aber eine wichtige Grundlage für beides.

Die Rolle von COI im Rahmen von Verfahren für die Zuerkennung von internationalem Schutz

Die Relevanz von COI im Rahmen von Verfahren für die Zuerkennung von internationalem Schutz setzt sich aus zwei unterschiedlichen den Verfahren inhärenten Aspekten zusammen: Einerseits wird COI herangezogen, um zu beurteilen, ob der antragstellenden Person bei Rückkehr Verfolgung aufgrund der in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 festgelegten Gründe oder sonstige unmenschliche Behandlung, auf deren Basis subsidiärer Schutz gewährt wird, droht. Andererseits dient COI dazu, die Glaubhaftigkeit von Vorbringen von Asylsuchenden im Hinblick auf deren Konsistenz mit dem zum Herkunftsland verfügbaren Wissen zu evaluieren.

Das Feld der COI, das den Einsatzbereich, aber auch dessen Begrenzungen darstellt, lässt sich somit anhand von zwei Dimensionen darstellen. Eine dieser Dimensionen umreißt den Detailgrad, er stellt in gewisser Weise die „Flughöhe“ dar, die von der Beschreibung der generellen Situation in einem Herkunftsland bis hin zu den konkreten Umständen einer antragstellenden Person reichen kann. Die Zeitachse als zweite Dimension bildet den Hintergrund für den Ereignisrahmen, der in Verfahren bei der Entscheidung Berücksichtigung findet. Bei diesen rechtlichen Entscheidungen spielen sowohl weit in der Vergangenheit liegende Ereignisse im Herkunftsland eine Rolle (Beleuchtung des Hintergrunds, Überprüfung von Vorbringen) als auch die in der Zukunft liegende potenzielle Gefahr im Fall einer Rückkehr.

Abbildung 1: Das Feld der COI

Hierbei ist zu beachten, dass nicht alles, was im Verfahren vorgebracht wird, auch belegt werden muss, vorausgesetzt, es wurden alle verfügbaren Beweise geprüft und die Aussagen der antragstellenden Person wurden als plausibel und kohärent beurteilt (Stichwort: „benefit of the doubt“). Wie ACCORD in seinem Handbuch Researching Country of Origin Information festhält, kann COI zwar bestimmte Aussagen von Asylantragstellenden untermauern, doch selbst im Rahmen einer umfassenden COI-Recherche ist es kaum möglich, alle Angaben unabhängig zu bestätigen. COI liefert nur selten abschließende Antworten hinsichtlich der Glaubhaftigkeit einer Person oder ihres Bedarfes auf internationalen Schutz.

In Verfahren für die Zuerkennung von internationalem Schutz können Herkunftsländerinformationen somit die Rolle eines wichtigen zu berücksichtigenden Beweismittels spielen. Gleichzeitig ist die lediglich ergänzende Natur dieses Beweismittels zu beachten: Weder ist COI in individuellen Verfahren allein für den Anspruch auf einen Schutzstatus ausschlaggebend noch ersetzt sie die rechtliche Würdigung der Fakten, die die Umstände im Herkunftsland beschreiben.

Qualitätsstandards und Prinzipien bei der Beurteilung von Herkunftsländerinformationen

Im Rahmen von Verfahren für die Zuerkennung von internationalem Schutz stellen Herkunftsländerinformationen somit einen Faktor dar, der einen signifikanten Einfluss auf das Leben der Antragstellenden haben kann. Umso wichtiger ist es für alle, die Herkunftsländerinformationen recherchieren, zusammenstellen oder nutzen, den Stellenwert, aber auch die Grenzen von COI zu kennen und über einen fundierten Rahmen zur Beurteilung der Qualität der von ihnen recherchierten oder verwendeten Informationen zu verfügen.

ACCORD widmet sich in diesem Kontext im bereits erwähnten Handbuch den Standards und Prinzipien, die es sowohl bei der Recherche als auch bei der Verwendung von COI zu beachten gilt. Die Qualitätsstandards Relevanz, Verlässlichkeit und Ausgewogenheit, Inhaltliche Richtigkeit und Aktualität und Transparenz beruhen auf den Grundprinzipien der Unparteilichkeit und Neutralität, Waffengleichheit bezüglich des Zugangs zu Informationen, Verwendung von öffentlich zugänglichen Informationen sowie Datenschutz. Zusammengenommen ermöglichen die Standards und Prinzipien eine größtmögliche Annäherung an das Ziel der Objektivität.

Im Detail bedeutet dies, dass Herkunftsländerinformationen dann relevant sind, wenn sie auf Fragen beruhen, die auf rechtlichen Konzepten der Flüchtlings- und Menschenrechtsgesetzgebung beruhen, oder auf Fragen, die sich aus den Aussagen der Antragstellenden ergeben. Entscheidungen über internationalen Schutz sollten auf COI aus verlässlichen Quellen beruhen, wobei der politische und ideologische Kontext der Quelle sowie ihr Mandat, ihre Methoden der Recherche, Datenerhebung und Berichterstattung und ihre Motivation berücksichtigt werden müssen. Da jede Quelle über eine eigene Perspektive verfügt, sollten verschiedene Quellen und verschiedene Arten von Quellen konsultiert werden, um ein möglichst umfassendes und ausgewogenes Bild zu erhalten. Es sollten nur Informationen verwendet werden, die zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung als korrekt und aktuell gelten. Inhaltliche Richtigkeit und Aktualität lassen sich durch die Prüfung anhand mehrerer Quellen („cross-checking“) von Informationen erreichen. Um Transparenz zu gewährleisten, sollten Informationen klar und verständlich dargestellt und in ihrer Bedeutung nicht verzerrt werden. Jede Information sollte bis zur Primärquelle rückverfolgbar sein, was eine vollständige Referenzierung unabdingbar macht. So kann sichergestellt werden, dass Leser:innen die Informationen unabhängig überprüfen und bewerten können.

Abbildung 2: COI-Qualitätsstandards im Rahmen der Recherchephasen

Die COI-Prinzipien besagen, dass COI-Recherche immer neutral durchgeführt und präsentiert wird und kein bestimmtes Ergebnis begünstigt werden sollte. Herkunftsländerinformationen sollten sowohl jenen, die im Verfahren entscheiden, als auch der Rechtsberatung und -vertretung gleichermaßen zur Verfügung stehen. Auch den Antragsteller:innen muss Zugang zu den Informationen gewährt werden, auf denen eine Entscheidung beruht, damit sie dazu Stellung nehmen können. Um faire Verfahren zu gewährleisten, sollten öffentlich zugängliche Informationen verwendet werden, da diese von Antragstellenden, Sachverständigen, aber auch der breiten Öffentlichkeit eingesehen und kritisch geprüft werden können. Die persönlichen Daten von Antragstellenden sowie alle Informationen, die diese identifizierbar machen könnten, müssen geschützt werden.

Ausblick

Neben den oben dargestellten Grundlagen zum Thema Herkunftsländerinformationen sollen in kommenden Blogeinträgen auch anwendungsspezifische Themen (z.B. Abgrenzung von Herkunftsländerinformationen zu „Guidance“, Rolle von Daten im Rahmen der COI-Recherche) und theoretische Aspekte (z.B. Begriff der Objektivität, Gedanken zur Legitimierungsfunktion von Herkunftsländerinformationen) näher beleuchtet werden. Damit sollen Reflexionen und Diskussionen zum Thema COI weitergeführt werden, die im Zuge der Erstellung der neuen Ausgabe des von ACCORD herausgegebenen Handbuchs zur Recherche von Herkunftsländerinformationen aufgegriffen wurden.


Das neue COI-Handbuch von ACCORD wird im Rahmen einer Onlineveranstaltung am 14. März 2024 um 14 Uhr online präsentiert. Interessierte können sich unter folgendem Link zur Veranstaltung anmelden. Ab dem 14. März ist das ACCORD Training Manual Researching Country of Origin Information, 2024 Edition unter diesem Link verfügbar.


Weiterführende Literaturhinweise

  • Gibb, Robert und Good, Anthony (2013): Do the facts speak for themselves? Country of origin information in French and British refugee status determination procedures. In: International Journal of Refugee Law 25(2), 291-322.
  • Liodden, Tone Maia (2022): The Map and the Territory: The Use of Country Information in Asylum Assessments. In: International Migration Review 56(1), 296-322.
  • Rosset, Damian (2019): Producing Knowledge, Legitimacy and Authority: Country information for Asylum Procedures. PhD Dissertation: Faculty of Humanities, University of Neuchatel, Schweiz.
  • Van der Kist, Jasper (2022): Knowing Asylum Seekers: The Chain of Country of Origin Information. PhD Dissertation: Faculty of Humanities, University of Manchester, Großbritannien.
  • Vogelaar, Femke (2017): The Eligibility Guidelines examined: The use of Country of Origin information by UNHCR. In: International Journal of Refugee Law 29 (4), 617-640.

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