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BVwG: Aberkennung des Status einer Asylberechtigten wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung gem. § 107b StGB

BVwG 17.03.2025, W608 2297204-1/13E


Das Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung wird in der Rechtsprechung des VwGH nicht explizit aufgezählt, jedoch ist unzweifelhaft davon auszugehen, dass der Tatbestand des § 107b StGB zu jenen Delikten gehört, die die Rechtsordnung am stärksten beeinträchtigen.

Der Beschwerdeführerin, einer afghanischen Staatsangehörigen, wurde mit Bescheid des ehemaligen Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.06.2006 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.

Mit Urteil eines Landesgerichts vom 21.11.2023 wurde die Beschwerdeführerin u.a. wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt.

Nachdem den gegen diese Verurteilung erhobenen Rechtsmitteln nicht Folge gegeben worden war, leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen die Beschwerdeführerin am 23.05.2024 ein Aberkennungsverfahren gem. § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ein.

Mit Bescheid des BFA vom 23.07.2024 wurde der Beschwerdeführerin der ihr mit Bescheid des ehemaligen Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.06.2006 zuerkannte Status einer Asylberechtigten gem. § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gem. § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gem. § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.) und gegen die Beschwerdeführerin gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.03.2025, W608 2297204-1/13E, hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen. Ebenso wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe, dass der Beschwerdeführerin gem. § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 der Status einer subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt werde, abgewiesen und festgestellt, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Afghanistan unzulässig sei. Die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides wurden hingegen ersatzlos behoben.

Das BVwG stellte fest, die 54-jährige Beschwerdeführerin, die sich seit dem Jahr 2004 durchgehend im Bundesgebiet aufhalte, sei Staatsangehörige Afghanistans, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und Muslimin schiitischer Ausrichtung. Sie stamme aus der Provinz Ghazni, habe im Herkunftsstaat keine Schul- oder Berufsausbildung absolviert und keine Arbeitserfahrung. Sie verfüge in Afghanistan über keine familiären Anknüpfungspunkte mehr. Die Beschwerdeführerin habe, außer zu ihrer Familie, zu niemandem in Österreich ein Naheverhältnis, keine Kenntnisse der deutschen Sprache und sei im Bundesgebiet nie erwerbstätig bzw. niemals aktives Mitglied in einem Verein gewesen oder sportlichen bzw. kulturellen Aktivitäten nachgegangen.

Die Beschwerdeführerin sei mit Urteil eines Landesgerichts vom 21.11.2023 u.a. wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b StGB (gemeinsam mit ihrem Ehemann an ihrer eigenen Tochter begangen) zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt worden. Nach dem Urteilsspruch habe die Beschwerdeführerin über einen etwa zehnjährigen Tatzeitraum gegenüber ihrer Tochter durch fortdauernde Misshandlungen, vorsätzliche Körperverletzungen, gefährliche Drohungen, Nötigungen und Freiheitsentziehungen fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei die Beschwerdeführerin durch die Tat eine umfassende Kontrolle des Verhaltens ihrer Tochter hergestellt und eine erhebliche Einschränkung ihrer autonomen Lebensführung bewirkt habe. So habe die Beschwerdeführerin ihre Tochter zumindest dreimal pro Woche geohrfeigt oder ihr mit Kabeln und diversen Gegenständen gegen die Oberarme bzw. Oberschenkel geschlagen und Gegenstände nach ihr geworfen, wodurch sie Hämatome und teilweise blutende Striemen erlitten habe. Zudem habe die Beschwerdeführerin ihre Tochter wiederholt durch Drohungen mit zumindest einer Verletzung am Körper und an der Freiheit zu Handlungen, nämlich dazu, das Haus nicht zu verlassen, sich anders zu kleiden, keine Piercings zu tragen etc., genötigt, wobei sie ihr gegenüber unter anderem sinngemäß angegeben habe, ihr Vater werde sie erwürgen oder schlagen, wenn sie den Eltern nicht gehorche. Weiters habe sie ihre Tochter wiederholt unter Vorhalt eines Brotmessers mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht. Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin ihre Tochter wiederholt in der Wohnung eingesperrt und ihr so die persönliche Freiheit entzogen. Aufgrund der fortgesetzten körperlichen Übergriffe, der fortlaufenden Drohungen sowie der Freiheitsentziehungen sei die Tochter der Beschwerdeführerin gezwungen gewesen, ihre gesamte Lebensführung nach den Vorstellungen der Eltern auszurichten. Im Zusammenhang mit den Strafbemessungsgründen sei der Beschwerdeführerin der Milderungsgrund des reumütigen Geständnisses nicht zugutegekommen, zumal sie die vorgeworfenen Tathandlungen bis zuletzt geleugnet habe.

Eine Rückkehr der Beschwerdeführerin nach Afghanistan erscheine derzeit nicht zumutbar, zumal ihre Rückführung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde.

Beweiswürdigend hielt das BVwG fest, die Feststellungen zu den persönlichen Umständen der Beschwerdeführerin würden sich anhand ihrer eigenen Abgaben bzw. jener ihres Ehemannes und eines in der mündlichen Beschwerdeverhandlung einvernommenen Zeugen ergeben.

Die Feststellungen zum strafrechtlichen Fehlverhalten der Beschwerdeführerin würden anhand der im Verwaltungsakt einliegenden Strafurteile erfolgen.

Die Unzumutbarkeit einer Rückkehr der Beschwerdeführerin nach Afghanistan gründete das BVwG auf die seiner Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte in Zusammenschau mit den persönlichen Umständen der Beschwerdeführerin:

Zwar sei die Versorgungslage in Afghanistan zum aktuellen Zeitpunkt nicht derart gestaltet, dass jeder Rückkehrer in eine existenzbedrohende ausweglose Situation geraten würde, auch wenn sich die Lebensbedingungen äußerst schwierig gestalten würden. Jedoch sprächen fallgegenständlich die persönlichen Umstände der Beschwerdeführerin, insb. der Umstand, dass sie in Afghanistan über kein familiäres oder soziales Unterstützungsnetzwerk verfüge, dafür, dass sie mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in eine existenzielle Notlage geraten würde. Hinzu komme, dass im rechtskräftigen Bescheid des ehemaligen Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.06.2006 festgestellt worden sei, dass die Beschwerdeführerin in Afghanistan einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt gewesen und von diesen geschlagen sowie massiv misshandelt worden sei. Zwar sei seit den von der Beschwerdeführerin erlittenen Verfolgungshandlungen geraume Zeit vergangen, dennoch sei nach der erneuten Machtübernahme der Taliban nicht auszuschließen, dass die Beschwerdeführerin erneut in den Fokus der Taliban geraten könnte und im Heimatland weiteren Übergriffen, diskriminierenden Maßnahmen und Verfolgungshandlungen ausgesetzt wäre, dies auch vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichte und des Urteils des EuGH vom 04.10.2024, C-608/22 und C-609/22.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das BVwG aus, dass der Beschwerdeführerin gem. § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten abzuerkennen sei, weil sie den Asylausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 verwirklicht habe:

So sei die Beschwerdeführerin wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden. Das Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung werde in der Rechtsprechung des VwGH zwar nicht explizit aufgezählt, jedoch sei unzweifelhaft davon auszugehen, dass der Tatbestand des § 107b StGB zu jenen Delikten gehöre, die die Rechtsordnung am stärksten beeinträchtigen würden. Die von der Beschwerdeführerin verübte Straftat weise eine außerordentliche Schwere auf und sei somit objektiv besonders schwerwiegend, was sich auch in der Strafdrohung von 5-15 Jahren widerspiegle. Eine fortgesetzte Gewaltausübung sei mehr als bloß die Summe einzelner Gewaltakte über einen längeren Zeitraum, da die Handlungen in ihrer Gesamtheit geeignet sein müssten, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit des Opfers zu bewirken und es in einen permanenten Zustand der Angst vor weiteren Gewaltakten zu versetzen. Die von der Beschwerdeführerin begangene Straftat erweise sich auch subjektiv als besonders schwerwiegend. In diesem Zusammenhang seien die Rücksichtslosigkeit und Brutalität, mit welcher die Beschwerdeführerin vorgegangen sei, sowie die enorme Anzahl der begangenen Misshandlungen und Körperverletzungen hervorzuheben. Auch die bis heute mangelnde Verantwortungsübernahme der Beschwerdeführerin wiege unter diesem Gesichtspunkt schwer.

Zudem stelle die Beschwerdeführerin aufgrund ihres strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft dar. Angesichts der gravierenden Straffälligkeit der Beschwerdeführerin werde es nach ihrer Haftentlassung noch eines mehrjährigen Zeitraums des Wohlverhaltens bedürfen, um einen Wegfall bzw. eine erhebliche Minderung der von ihrer Person ausgehenden Gefährdung annehmen zu können. Zudem habe die Beschwerdeführerin für ihre Straftat nach wie vor nicht die volle Verantwortung übernommen.

Das BVwG bejahte im Falle der Beschwerdeführerin auch das Vorliegen der Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit der Aberkennung des Status einer Asylberechtigten. So würde die von der Beschwerdeführerin ausgehende Gefahr für das Grundinteresse der Allgemeinheit den Eingriff in ihre Rechte, die ihr aufgrund ihres Status aus der StatusRL zustünden, überwiegen. Die Beschwerdeführerin habe nämlich aufgrund der in Folge dieser Entscheidung eintretenden Duldung ihres Aufenthaltes nach nationalem Recht Zugang zur Grundversorgung, weshalb der Zugang zu Sozialhilfeleistungen, medizinischer Versorgung und Wohnraum trotz Aberkennung des Asylstatus grundsätzlich weiterhin gegeben sei. Die Aberkennung des Status einer Asylberechtigten gehe für die Beschwerdeführerin somit nicht zwangsläufig mit dem Verlust der zentralen in Art. 26-35 StatusRL genannten Rechte und Leistungen einher. Dass der unbeschränkte Zugang der Beschwerdeführerin zum Arbeitsmarkt wegfallen würde und Sozialleistungen allenfalls in geringerer Höhe zustehen bzw. wegfallen könnten, sei unter Berücksichtigung ihrer schwerwiegenden Straffälligkeit jedenfalls verhältnismäßig. Auch sei nicht davon auszugehen, dass mit anderen, weniger beeinträchtigenden Maßnahmen das Auslangen gefunden werden könnte.

Das BFA sei somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Asylaberkennungsgrund des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 verwirklicht sei, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen gewesen sei.

Der Beschwerdeführerin wäre zwar an sich der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen, jedoch habe sie den Ausschlussgrund des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 verwirklicht, da sie eine schwere Straftat iSd Art. 17 lit. b StatusRL begangen habe, weshalb die Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten iVm § 8 Abs. 3a AsylG 2005 zu unterbleiben habe.

Da die Nichtzuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten aufgrund des Tatbestandes des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 erfolgt sei, sei diese gem. § 9 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Afghanistan unzulässig sei, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben (siehe dazu eingehend VwGH 25.07.2023, Ra 2021/20/0246) habe jedoch die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu unterbleiben und lediglich die Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat zu erfolgen.

Demnach sei die Nichtzuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten mit der Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführerin zu verbinden und die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides mit der im Spruch angeführten Maßgabe abzuweisen gewesen.

Aufgrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 25.07.2023, Ra 2021/20/0246, seien schließlich die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben gewesen.

Bearbeitet von: Mag. Moritz Hessenberger


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