Recht und Wissenschaft in Österreich

Qualifizierte Dolmetschende als Dreh- und Angelpunkt für ein qualitätsvolles Asylverfahren – eine Annäherung

30. März 2023 in Beiträge
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Tags: Asylverfahren, Dolmetschen, Fachkompetenz, Qualität, Sprachkompetenz

Dipl.-Psych. Annika Bergunde

Dipl.-Psych. Annika Bergunde ist seit 2010 in der Rechtsabteilung von UNHCR Österreich tätig, wo sie im Rahmen der Qualitätssicherungsprojekt u.a. Maßnahmen zur Qualitätssteigerung von Dolmetschungen im Asylverfahren in Kooperationen mit Expert:innen forciert. 

Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Sonja Pöllabauer

Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Sonja Pöllabauer ist Professorin für Dolmetschwissenschaft (Schwerpunkt Kommunaldolmetschen) am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien. Sie forscht zum Thema Kommunaldolmetschen, leitet Forschungsprojekte zu diesem Themenfeld und war an der Entwicklung von Lehrgängen zum Kommunaldolmetschen beteiligt. 


Die Ausbildung von im Asylverfahren tätigen Dolmetschenden scheint ein Dreh- und Angelpunkt zu sein, um die Qualität im Asylverfahren zu verbessern. Aber was zeichnet „gute“ Dolmetschende im Asylverfahren aus? Welche Qualifikationen werden im Setting Asylverfahren benötigt?  

Warum sollten wir dem Dolmetschen im Asylverfahren Aufmerksamkeit schenken? 

Das Asylverfahren und folglich auch darin vorgenommene Befragungen werden in deutscher Sprache geführt und Niederschriften auch in dieser Sprache abgefasst (vgl. § 14 AVG). Großteils sind Asylsuchende der deutschen Sprache jedoch nicht hinreichend kundig, wodurch die Beiziehung von Dolmetschenden erforderlich wird. 

Das Recht auf Beiziehung eines:einer Dolmetschenden hat durch die EU-Asylverfahrensrichtlinie (Neufassung RL 2013/32/EU) eine unionsrechtliche Komponente und steht etwa in engem Zusammenhang mit dem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 47 Grundrechtecharta) und dem Recht auf gute Verwaltung (Art. 41 Grundrechtecharta). Im österreichischen Recht finden sich im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz (§§ 39a, 52 Abs. 2 bis 4 und 53 AVG) einschlägige Regelungen.  

Aus rechtlicher Sicht besteht kein Anspruch auf Dolmetschung in der Erstsprache oder einer „Sprache der Wahl“, sondern lediglich auf Dolmetschung in einer verständlichen Sprache, einer sogenannten Lingua franca. Für Dolmetschende gilt in derartigen Fällen besondere Vorsicht in Hinblick auf Fragen des Verstehens und Verständnis walten zu lassen, mehr noch, wenn die gewählte Sprache auch für die:den Dolmetschende:n nicht die Erst- bzw. Bildungssprache ist. Festzulegen ist die zu dolmetschende Sprache von der einvernehmenden Person.   

Dolmetschen als Schlüssel zum Verständnis? 

Dolmetschende im Asylverfahren haben eine entscheidende Rolle, da ohne sie keine Kommunikation möglich wäre. Bei vielen Befragungen sind die Dolmetschenden die einzigen Gesprächsbeteiligten, die (idealerweise) zu jedem Zeitpunkt des Gesprächs alles verstehen, was gesprochen wird. Sie haben als Einzige vollständige Informationen über die Gesprächsinhalte, und auch darüber, wie diese formuliert werden. Beide Seiten (Asylwerber:innen, Asylbehörden oder Gerichte) müssen darauf vertrauen, dass sie ihre Angaben richtig wiedergeben. Die Qualität ihrer Dolmetschungen, ihre Professionalität und ihr Verantwortungsbewusstsein haben einen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens, die Arbeit der Einvernehmenden und auf die Zukunft der Asylwerber:innen. 

Die am Verfahren beteiligten Parteien haben jedoch nicht notwendigerweise die gleichen Vorstellungen, was professionelles Dolmetschen ausmacht: So sind Einvernehmende nicht immer in der Arbeit mit Dolmetschenden geschult; Asylsuchende wissen möglicherweise nicht, was von ihnen erwartet wird; und auch Dolmetschende sind möglicherweise nicht auf dieses spezifische Setting vorbereitet bzw. dafür ausgebildet.  

Studien zufolge (z.B. Barsky 1994; Scheffer 2001; Pöllabauer 2005; Maryns 2006; Kolb & Pöchhacker 2008; Jacquemet 2011) ist dieses Setting in einem hohen Maß geprägt von komplexen transkulturellen und mehrsprachigen Interaktions- und Verständigungsprozessen, mit Sprecher:innen mit heterogenen und superdiversen Bildungs-, soziokulturellen, religiösen Hintergründen (Vertovec 2007) – also ein komplexes System mit starken Asymmetrien und einer hohen Emotionalität. Dolmetscher:innen müssen demnach oft selbst entscheiden, welche Erwartungen sie erfüllen können und welche nicht. Um diese Entscheidung treffen können, müssen sie allerdings entsprechende Kenntnisse darüber haben, welche Aufgaben ihre Rolle umfasst (und welche nicht), und über Erwartungen und Abläufe in diesem System Bescheid wissen. Das ist in der Praxis oft nicht der Fall, und so zeigt sich, dass Dolmetschende mitunter über ihre Kompetenzen und Befugnisse hinausreichende Aufgaben (z.B. eigenständige Datenaufnahme) übernehmen, sich parteilich verhalten (etwa als Hilfspolizist:innen der Einvernehmenden oder Vertrauenspersonen und Helfer:innen für Asylsuchende agieren) und mitunter kein professionelles Verhalten zeigen (z.B. inadäquate, abwertende Körpersprache und Mimik, Kundmachung der eigenen Meinung). 

Wer darf dolmetschen? 

Im Asylbereich werden Dolmetschende mit unterschiedlichem Qualifikationshintergrund hinzugezogen, da sich nicht für alle Sprachen ausgebildete Dolmetschende finden. Allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Dolmetschende, sogenannte „Gerichtsdolmetscher:innen“, haben eine zentrale sprachenpaarspezifische Prüfung abgelegt, mit Schwerpunkt auf juristischer Terminologie und damit verbundenen Fachkenntnissen. Diplomierte Dolmetschende haben ein Universitätsstudium mit Schwerpunkt Dolmetschen abgeschlossen. Juristische Terminologie, sofern nicht Teil des Studiums, müssen sich diese Dolmetschenden noch zusätzlich aneignen. Der Großteil der im Asylverfahren tätigen Dolmetschenden sind jedoch sogenannte „Sprachkundige“ – so werden in behördeninternen Regelungen Dolmetschende benannt, die keinen Qualifikationsnachweis zur Ausübung ihrer Dolmetschtätigkeit erbringen können. Vor allem für Sprachen, für die in Österreich kein Studium und auch keine anderen Qualifizierungsmaßnahmen angeboten werden, müssen im Asylverfahren zwangsläufig oftmals Sprachkundige bestellt werden.  

Seit 2020 werden im Asyl- (erste Instanz) und Polizeibereich nur mehr Dolmetschende eingesetzt, die in das neu gegründete Dolmetschregister (DMR) des Bundesministeriums für Inneres (BMI) eingetragen sind. Für die Eintragung in dieses Register ist im Regelfall eine Kompetenzüberprüfung vorgesehen, die ebenfalls neu eingeführt wurde. Sukzessive werden auch Dolmetschende, die bereits seit vielen Jahren für die Behörde tätig sind, überprüft.  

Reicht Sprachkompetenz? 

Zwei- oder Mehrsprachigkeit ist für eine qualitätsvolle Dolmetschung eine zentrale Voraussetzung, nicht jedoch allein ausreichend: Qualitätsvolles Dolmetschen erfordert u.a. auch Wissen über und Kompetenz in der Anwendung geeigneter Dolmetschtechniken, juristisches und asylspezifisches Fachwissen und damit verbundene mehrsprachige Fachterminologie sowie Wissen über die Recherche und Aneignung dieses Wissens, Bewusstsein über berufsethische Herausforderungen und damit verbundene Bewältigungsstrategien sowie Kenntnisse über mehrsprachige transkulturelle Kommunikationsprozesse in einem Behördenumfeld. Studien nach sind Dolmetschungen daher mangels Vorwissens und Fachwissens oder mangels Anwendung geeigneter Dolmetschtechniken teils unvollständig und verzerrt (siehe oben und Gómez-Díez 2010; Keselman et al. 2010; Rienzner 2011; Dahlvik 2018). 

Dolmetschen im Asylbereich stellt Dolmetschende folglich vor besondere Herausforderungen, nicht nur fachlicher, sondern vor allem sozialer bzw. persönlicher Natur. Regelmäßig werden in den Befragungen im Rahmen des Asylverfahrens Verletzungen von Grundrechten thematisiert, häufig sind Asylwerber:innen traumatisiert und Opfer von Folter sowie körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt. Auch aufgrund dieser Tatsachen ist Professionalisierung für Dolmetschende im Asylbereich von großer Bedeutung, und zwar für Sprachkundige, die oftmals vielleicht selbst Fluchthintergrund haben, genauso wie für diplomierte und Gerichtsdolmetscher:innen. Nur mit Hilfe geeigneter Abgrenzungstechniken und Methoden für Stressmanagement sowie mit einem ausgeprägten Bewusstsein für (berufs-)ethisch professionelles Verhalten ist es möglich, auf der Grundlage nachgewiesener sprachlicher und fachlicher Kompetenzen „gut“ zu dolmetschen. Im von UNHCR herausgegebenen Trainingshandbuch für DolmetscherInnen im Asylverfahren werden diese und weitere Themen umfassend dargestellt. 

Das Ausbildungsangebot in Österreich ist jedoch divers und für Fachfremde unübersichtlich. Erst seit den 2000er-Jahren gibt es neben dem universitären Ausbildungsangebot auch eine Reihe von außeruniversitären Qualifizierungsangeboten, mit sehr unterschiedlichen Inhalten und unterschiedlicher Länge. Spezifisch für den Asylbereich gibt es seit 2013 einen Lehrgang, der in Kooperation mit den Volkshochschulen durchgeführt wird. Seit 2020 hat sich die Plattform Dialogdolmetschen, ein überinstitutioneller Zusammenschluss von Ausbildungseinrichtungen für Übersetzen und Dolmetschen und außeruniversitären Einrichtungen, zum Ziel gesetzt, Licht in das Dickicht des Ausbildungsangebots zu bringen. So steht seit 2021 die von der Plattform erarbeitete Datenbank Dialogdolmetschen zur Verfügung, die einen umfassenden Überblick über sämtliche Ausbildungs- und Qualifizierungsangebote für Dialogdolmetschen ermöglicht und über eine Filtersuchfunktion verfügt. 

Für Sprachen, die nicht im europalastigen Sprachenkanon vertreten sind, oft auch als „seltene“ oder „exotische“ Sprachen bezeichnet, selbst wenn sie gerade in einem Migrationskontext gar nicht so selten benötigt werden, gibt es definitiv Aufholbedarf – hier wäre ein Mehr an Qualifizierung sinnvoll, ebenso wie dass dieses Kriterium explizit und aktiv von Einrichtungen, die Dolmetschende beschäftigen, eingefordert wird. 

Wohin könnte die Entwicklung gehen? 

Als ein gutes und vielleicht zukunftsweisendes Beispiel für Professionalisierung und verpflichtende Qualifizierung und Weiterbildung von Dolmetschenden kann Norwegen gelten. Die dortige nationale für Integration und Diversität zuständige Behörde (Norwegian Directorate of Integration and Diversity (IMDi)) ist auch für Dolmetschleistungen im öffentlichen Sektor zuständig und dafür verantwortlich, dass die öffentliche Hand Zugang zu qualifizierten Dolmetschenden hat. Ab 2026 sind öffentliche Stellen nunmehr verpflichtet, nur nachweislich qualifizierte Dolmetschende einzusetzen. Vor diesem Hintergrund gibt es auch eine enge Zusammenarbeit mit der Oslo Metropolitan University (OsloMet), die für die Qualifizierung von Dolmetschenden zuständig ist.  

Was heißt das für Österreich?  

Die im Zusammenhang mit der Einführung des BMI-Dolmetschregisters initiierten Maßnahmen sind ein wichtiger Pfeiler in Hinblick auf Schritte zur Qualitätssicherung. Wünschenswert wäre, dass bestehende Ausbildungsangebote für Dolmetschende genutzt sowie in Kooperation mit entsprechenden Expert:innen an neue Entwicklungen angepasst und unterstützt werden. Parallel dazu wäre es wichtig, dass Einrichtungen, die Dolmetschende beauftragen, entsprechende Signale aussenden, dass Ausbildung und Professionalität jener Wert zugebilligt wird, den sie berechtigterweise in derartig sensiblen Feldern haben sollten – ideell wie auch finanziell. Nur so werden letztlich Qualifizierungsangebote genutzt werden, und dass sie genutzt werden, wäre im Sinne aller Beteiligten zentral. 

Weitere Literaturnachweise finden Sie über den nachstehenden QR-Code:


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