Recht und Wissenschaft in Österreich

VfGH: Dublin III-Verordnung zu Ungarn / Bulgarien / Malta


Der VfGH hat sich zuletzt wiederholt mit der Frage auseinandergesetzt, ob sich das BVwG in Entscheidungen betreffend die Zurückweisung von Anträgen auf internationalen Schutz nach § 5 AsylG 2005 willkürfrei mit dem Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren sowie den Aufnahmebedingungen für Asylwerber im zuständigen Mitgliedstaat nach der Dublin III-Verordnung auseinandergesetzt hat.

Ungarn

Die Entscheidung zu E 2042/2022 ua. betraf eine sechsköpfige afghanische Familie, die im August 2021 im Zuge eines ungarischen Evakuierungsfluges von Kabul nach Ungarn ausgeflogen worden war. Den Beschwerdeführern wurden in Ungarn befristete Aufenthaltsberechtigungen für sonstige Zwecke erteilt. Sie stellten in Ungarn keine Asylanträge. Im Oktober 2021 stellten sie in Österreich Anträge auf internationalen Schutz, die vom BFA als unzulässig zurückgewiesen wurden. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurde vom BVwG im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass den Beschwerdeführern der Zugang zum ungarischen Asylverfahren sowie zu einer angemessenen (medizinischen und materiellen) Versorgung gewährleistet sei.

Der VfGH hält – unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Jawo – fest, dass eine willkürfreie Entscheidung des BVwG ein Inbezugsetzen des zu beurteilenden Sachverhalts mit den aktuellsten Länderberichten voraussetzt. Dies gilt im Besonderen, wenn diese (im Vergleich zu den vom BVwG herangezogenen Quellen) eine entscheidende Lageveränderung im zuständigen Mitgliedstaat offenbaren. Im vorliegenden Fall hatte sich das BVwG nach Ansicht des VfGH nicht hinreichend mit der Berichtslage zu dem in Ungarn auch auf Dublin-Rückkehrer zur Anwendung gelangenden „Botschaftsverfahren“ (vgl. dazu die Klage der Europäischen Kommission gegen Ungarn) auseinandergesetzt. Demnach müssen Personen, die in Ungarn um Asyl ansuchen wollen, zuvor eine persönliche Absichtserklärung bei einer der ungarischen Botschaften in Belgrad oder Kiew abgeben. Im Falle der Zulassung stellt die Botschaft eine einmalige Einreiseerlaubnis aus. Der Zugang zu Unterbringung, Verpflegung und medizinischer Versorgung setzt jedoch eine Asylantragstellung in Ungarn voraus. Während der Zeit im Drittstaat genießen potentielle Asylwerber demgegenüber keinen Abschiebeschutz durch Ungarn und haben auch keinen Anspruch auf Versorgung. Das BVwG hat diese für Dublin-Rückkehrer neu entstandene Situation nicht hinreichend berücksichtigt. Auch der pauschale Verweis auf die Evakuierung durch ungarische Behörden sowie die Annahme der Gewährung von Betreuung und Unterstützung wie nach der Ankunft in Ungarn stellen vor dem Hintergrund der aktuellsten Berichtslage keine ausreichende Begründung für die Annahme eines gesicherten Zugangs zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren in Ungarn und damit einer entsprechenden Versorgung dar.

Bulgarien

Mit dem Erkenntnis zu E 2944/2022 hat der VfGH eine – die Asylzurückweisung wegen der Dublin III-Zuständigkeit Bulgariens bestätigende – Entscheidung des BVwG betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen ohne besondere Vulnerabilitäten behoben. Nach den herangezogenen Länderinformationen werden die Asylanträge von afghanischen Asylwerbern in einem beschleunigten Verfahren erledigt und mehrheitlich als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Nach Ansicht des VfGH wäre das BVwG vor diesem Hintergrund verpflichtet gewesen, näher zu überprüfen, ob der Beschwerdeführer in Bulgarien Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren hat, ohne dem Risiko einer Kettenabschiebung in die Türkei und damit in ein Land ausgesetzt zu sein, in dem ihm die Verletzung seiner gemäß Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC gewährleisteten Rechte drohen könnte.

Mit der Entscheidung zu E 1044/2022 ua. hat der VfGH – seiner ständigen Rechtsprechung zu vulnerablen Personen folgend – der Beschwerde einer alleinerziehenden Mutter und ihrer minderjährigen Tochter aus Syrien stattgegeben. Nach Ansicht des VfGH hat es das BVwG in diesem Fall unterlassen, nähere Ermittlungen anzustellen, inwiefern eine dem Art. 3 EMRK entsprechende Unterbringung der Beschwerdeführerinnen in Bulgarien auch im Hinblick auf ihre besonders vulnerable Stellung gewährleistet wäre.

Malta

Das stattgebende Erkenntnis zu E 622/2022 betraf einen syrischen Staatsangehörigen, der nach der Berichtslage bei einer Überstellung nach Malta mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit seiner Inhaftierung rechnen musste. Der VfGH weist darauf hin, dass der EGMR in vergleichbaren Beschwerdeverfahren die Haftbedingungen in Malta zwar teilweise in Hinblick auf die sanitären und hygienischen Zustände kritisiert, aber darin keine Verletzung von Art. 3 EMRK gesehen hat. Vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des EGMR im Fall Feilazoo/Malta und der eine maßgebliche Verschlechterung der Haftbedingungen insbesondere im Zuge der Covid-19-Pandemie darlegenden aktuellen Länderinformationen belastet das Fehlen jeglicher Ausführungen zu den Haftbedingungen für Dublin-Rückkehrer in Malta jedoch die Entscheidung des BVwG mit Willkür.

Bearbeitet von: Dr. Johannes Schön


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