Recht und Wissenschaft in Österreich

VfGH: Ausstellung eines Fremdenpasses und Ausreisefreiheit


Mit Erkenntnis vom 16. Juni 2023, E 3489/2022, hat der VfGH ausgesprochen, dass im Rahmen der Prüfung eines Antrages auf Ausstellung eines Fremdenpasses eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit seiner Verweigerung im Hinblick auf die Ausreisefreiheit nach Art. 2 Abs. 2 4. ZPEMRK durchgeführt werden muss. Erweist sich die Ausstellung des Fremdenpasses insofern als grundrechtlich geboten, liegt sie auch im „Interesse der Republik“ iSv § 88 Abs. 1 FPG.

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, hatte einen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses im Interesse der Republik Österreich für ausländische Staatsangehörige, die die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“ erfüllen (§ 88 Abs. 1 Z 3 FPG) gestellt. Der Antrag wurde vom BFA abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG als unbegründet ab. Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers von keinem in seiner Person gelegenen Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses für den Beschwerdeführer auszugehen sei.

Der VfGH hat der gegen dieses Erkenntnis des BVwG erhobenen Beschwerde stattgegeben. Begründend verweist er zunächst auf das Urteil des EGMR vom 14. Juni 2022, 38.121/20, L.B., wonach das – in Art. 2 Abs. 2 4. ZPEMRK normierte – Recht, ein Land zu verlassen, ohne Ausstellung irgendeiner Art von Reisedokument nicht praktisch und effektiv gewährleistet wäre. Es stelle daher eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 4. ZPEMRK dar, wenn die Ausstellung eines Fremdenpasses verweigert wird, ohne eine Abwägung im Einzelfall vorgenommen und sichergestellt zu haben, dass eine solche Maßnahme im konkreten Einzelfall gerechtfertigt und verhältnismäßig ist (Z 96 des EGMR-Urteils). Vor diesem Hintergrund – so der VfGH weiter – kommt dem Verfahren zur Ausstellung von Fremdenpässen gemäß § 88 Abs. 1 FPG insofern grundrechtliche Bedeutung zu, als die Behörde anlässlich eines solchen Antrages die Folgen einer Verweigerung auf ihre Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 2 4. ZPEMRK prüfen kann und muss. Angesichts dessen ist die Voraussetzung „sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist“ in § 88 Abs. 1 FPG auch dann erfüllt, wenn die Verweigerung der Ausstellung eines Fremdenpasses eine Verletzung des durch Art. 2 4. ZPEMRK gewährleisteten Rechtes auf Ausreisefreiheit und damit einen Verstoß gegen die Verpflichtung der Republik Österreich zur Gewährleistung dieses Konventionsrechtes bedeuten würde (vgl. VfSlg. 20.330/2019 zu § 28 Abs. 1 Z 1 StbG).

Mit Erkenntnissen vom (jeweils) 28. Juni 2023, E 653/2023 und E 659/2023, hat der VfGH weiteren vergleichbaren Beschwerden stattgegeben. In diesen Erkenntnissen hält der VfGH außerdem fest, dass die Wortfolge „sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist“ in § 88 Abs. 1 FPG dem Bestimmtheitsgebot entspricht. Mit Erkenntnis vom 28. Juni 2023 zu E 2228/2022 hat der VfGH daneben der Beschwerde gegen die Abweisung eines Antrages gemäß § 88 Abs. 1 Z 2 FPG stattgegeben, weil das BVwG nicht nachvollziehbar begründet hatte, weshalb der Beschwerdeführer – (ebenso) ein Staatsangehöriger Afghanistans – vor dem Hintergrund der zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG aktuellen Länderinformationen in der Lage sein sollte, sich im Sinne des § 88 Abs. 1 Z 2 FPG ein gültiges Reisedokument seines Heimatstaates zu beschaffen.

S. zu dieser Thematik auch den Beitrag „Die Ausreisefreiheit ohne Reisedokumente – Praktisch und effektiv gewährleistet“ von Dr.in Lioba Kasper (Teil 1 und Teil 2).

Bearbeitet von: Dr.in Martina Lais


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Kommentare

One thought on "VfGH: Ausstellung eines Fremdenpasses und Ausreisefreiheit"

  1. Andreas sagt:

    Jetzt stellt sich eigentlich nur noch die Frage, welche Anstrengungen sind einem Fremden zuzumuten an den herkunftsstaatlichen Pass zu gelangen, bzw. wie es um Personen steht, die a) keinen rechtmäßigen Aufenthalt haben und b) deren Aufenthaltsrecht kürzer als 5 Jahre (Normdauer ausgestellter Fremdenpässe) ist.

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