Recht und Wissenschaft in Österreich

LGBTIQ+? Queer? SOGIESC? Und das noch auf Arabisch oder Farsi oder Urdu oder …?

30. November 2023 in Beiträge
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Tags: Dolmetschen, LGBTIQ, Queer, SOGIESC

Dipl.-Psych. Annika Bergunde

Dipl.-Psych. Annika Bergunde ist seit 2010 in der Rechtsabteilung von UNHCR Österreich tätig, wo sie im Rahmen der Qualitätssicherungsprojekt u.a. Maßnahmen zur Qualitätssteigerung von Dolmetschungen im Asylverfahren in Kooperationen mit Expert:innen forciert. 

Mag. Elias Faller, B.A.

Mag. Elias Faller, B.A., studierte Rechtswissenschaften und Translationswissenschaft an der Universität Graz und arbeitete u.a. am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien. Derzeit ist er als Universitätsassistent am Europäischen Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie der Universität Graz (UNI-ETC) beschäftigt.

Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Sonja Pöllabauer

Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Sonja Pöllabauer ist Professorin für Dolmetschwissenschaft (Schwerpunkt Kommunaldolmetschen) am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien. Sie forscht zum Thema Kommunaldolmetschen, leitet Forschungsprojekte zu diesem Themenfeld und war an der Entwicklung von Lehrgängen zum Kommunaldolmetschen beteiligt. 


Beim Dolmetschen ist die richtige Wortwahl entscheidend. Eine sensible und transparente Kommunikation macht einen großen Unterschied in gedolmetschten Gesprächen mit Personen, die einer sexuellen oder geschlechtlichen Minderheit angehören.

* Eine Anmerkung zu Beginn: Falls es Ihnen wie vielen ergeht und Sie mehr über die im Titel und im weiteren Text verwendeten Akronyme und Buchstabenkombinationen erfahren möchten, verweisen wir auf das Glossar des Dachverbands ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association).

Identität und sexuelle Orientierung berühren einige der persönlichsten und intimsten Belange unseres Lebens: Wie wir uns selbst sehen, wen wir lieben und zu wem wir uns hingezogen fühlen. Viele Menschen fühlen sich nicht wohl dabei, derart intime Realitäten ihres Lebens mit Personen zu teilen, die sie nicht kennen. In zahlreichen Ländern mussten Menschen, deren sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität, Ausdruck oder Merkmale nicht in die bestehenden Normen passen, traumatische Erfahrungen machen. Sie waren und sind etwa Sanktionen, Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Das kann zu psychischen Problemen, zu verinnerlichter Homo- und Transfeindlichkeit, mit anderen Worten, sich selbst nicht zu akzeptieren oder zu verachten, sowie zu Scham- und Schuldgefühlen führen. Für LGBTIQ+-Flüchtlinge gestaltet sich daher das Sprechen über derart Persönliches folglich noch komplexer, wenn sie in einem behördlichen Verfahren und unter Anwesenheit weiterer dritter – oder mehr – Personen über ihre Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung und damit verbundene persönliche Erfahrungen sprechen sollen.

Dolmetscher:innen tragen folglich eine große Verantwortung in der Kommunikation zwischen Gesprächspartner:innen, die keine gemeinsame Sprache beherrschen. LGBTIQ+ Geflüchtete sind auf Dolmetscher:innen angewiesen und müssen darauf vertrauen, dass dieses Gesagte vollständig und situationsadäquat wiedergegeben wird. Insbesondere für LGBTIQ+-Geflüchtete, deren fluchtauslösendes Moment mit ihrer Geschlechtsidentität und/oder sexuellen Orientierung zu tun hat, ist das Vertrauen in die Qualität der Dolmetschung wesentlich, damit sie es in einer vertrauensvollen Umgebung wagen, ihren Fluchtgrund zu benennen.

Dieses Vertrauensverhältnis zwischen LGBTIQ+-Antragsteller:innen und Dolmetscher:innen in der Einvernahmesituation hat zudem auch rechtliche Implikationen und kann den Ausgang des Asylverfahrens mitunter maßgeblich beeinflussen. Insbesondere ist das Vertrauen in die Gesprächspartner:innen Voraussetzung dafür, dass LGBTIQ+-Antragsteller:innen glaubhaft ihren Fluchtgrund in der Einvernahme darlegen können. Den UNHCR-Richtlinien Nr. 9 zur Flüchtlingseigenschaft aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder der geschlechtlichen Identität ist etwa zu entnehmen, dass neben den Behördenvertreter:innen auch den Dolmetscher:innen eine gewichtige Rolle dabei zukommt, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen. Die Richtlinien machen in diesem Zusammenhang eine Reihe von Vorgaben: Dolmetscher:innen sollten im Umgang mit LGBTIQ+-Antragsteller:innen speziell geschult sein (Rz 60, iv.) und unterliegen der Verschwiegenheitspflicht (ibid, i.). Das ist besonders dann von Relevanz, wenn LGBTIQ+-Antragsteller:innen und Dolmetscher:innen aus demselben Herkunftsland stammen und im Aufnahmeland derselben Community angehören. Besteht die Furcht, dass Informationen nach außen dringen, aufgrund derer LGBTIQ+-Antragsteller:innen von Mitgliedern ihrer Community geächtet oder bedroht werden könnten, wird kaum genügend Vertrauen gegeben sein, ohne Scheu und offen über Persönliches zu sprechen (vgl. ibid., vi.).

Die Richtlinien betonen auch die Bedeutung der Verwendung einer adäquaten Terminologie und angemessenen Sprache. So sollten Dolmetscher:innen darauf achten, dass sie nicht durch ihre Wortwahl oder ihr Verhalten den Eindruck erwecken, eine Wertung über die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität, das Sexualverhalten oder das Beziehungsmuster der Antragsteller:innen zu tätigen (ibid., iii.). Es sollten Bezeichnungen verwendet werden, die nicht beleidigend aufgenommen werden könnten, und die Ausdruck einer positiven Einstellung gegenüber der Vielfalt an sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten sind (ibid., v.). Ein sorgsamer und respektvoller Umgang mit Sprache ist gerade auch deswegen von Bedeutung, da eine bestimmte abwertende und diskriminierende Wortwahl mitunter Teil der Verfolgungshandlungen gewesen sein kann (ibid.). Schließlich werden die Behörden dazu angehalten, Dolmetscher:innen jenes Geschlechts zu bestellen, das von den LGBTIQ+-Antragsteller:innen gewünscht wird (ibid., vi.).

Dolmetscher:in und Geschlecht im Unionsrecht

Der letzte oben genannte Punkt findet, in abgeschwächter Ausprägung, Niederschlag in der Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU). Während die Erstfassung der Richtlinie (2005/85/EG) noch keine derartige Schutzbestimmung enthielt, legt ihre Neufassung in Art 15 (3) lit. c fest, dass die Behörden der Mitgliedstaaten auf Wunsch der Antragsteller:innen Dolmetscher:innen des gleichen Geschlechts bereitstellen müssen.

Die Schutzwirkung dieser Bestimmung ist somit eingeschränkter als von den UNHCR-Richtlinien vorgegeben: Art 15 (3) lit. c Asylverfahrensrichtlinie erfasst nur den Fall, dass LGBTIQ+-Antragsteller:innen Dolmetscher:innen des gleichen Geschlechts bevorzugen. Denkbar wäre aber genauso, dass LGBTIQ+-Antragsteller:innen aufgrund negativer Erfahrungswerte Dolmetscher:innen des anderen Geschlechts vorziehen – ein Wunsch, dem, wohl entgegen dem Schutzzweck der Bestimmung, nicht nachgekommen werden müsste.

Auffällig sowohl an der Regelung der Asylverfahrensrichtlinie als auch an den UNHCR-Richtlinien ist, dass beide auf ein binäres Geschlechterverständnis abstellen. Grundannahme ist, dass ein Mensch entweder weiblich oder männlich sein muss – eine bekanntermaßen verkürzte Darstellung. Inter bzw. nichtbinäre Personen, die ihr Geschlecht außerhalb der traditionellen, zweigeteilten Ordnung definieren, finden in den Regelungen keine Deckung.

Würdigung im österreichischen Recht

Im österreichischen Asylrecht hat sich die Bedeutung des Antragsteller:in-Dolmetscher:in-Verhältnisses im LGBTIQ+-Kontext bis dato nicht manifestiert; es gibt keine Bestimmung, die explizit darauf Bezug nimmt. Erkannt wurde vom österreichischen Gesetzgeber allerdings, dass in der Einvernahme von Antragsteller:innen, deren Vorbringen in Zusammenhang mit Eingriffen in ihre sexuelle Integrität stehen, das Geschlecht der Gesprächspartner:innen Einfluss auf das Wohlbefinden der Antragsteller:innen und ihre Bereitschaft, ihre Fluchtgründe ohne Schamgefühl zu erläutern, hat. Gemäß § 20 (1) AsylG sind Antragsteller:innen, die ihre Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in ihre sexuelle Selbstbestimmung gründen, von Sachbearbeiter:innen desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, es wird anderes verlangt. Eine Bezugnahme auf die an den Einvernahmen beteiligten Dolmetscher:innen erfolgt in § 20 AsylG zwar nicht explizit, die Bestimmung wurde vom Verwaltungsgerichtshof (VwGH) aber (so) weit ausgelegt, dass in solchen Fällen auch sie, die Dolmetscher:innen, dasselbe Geschlecht haben müssen.

Anerkennung durch den VwGH

Dass genauso das Verhältnis der Antragsteller:innen zu den beteiligten Dolmetscher:innen entscheidend für eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre ist, wurde durch den VwGH in Ra 2021/18/0024-16 erneut bestätigt. In diesem Verfahren hatte der VwGH über die Revision eines irakischen Asylwerbers abzusprechen, der, nachdem er im erstinstanzlichen Verfahren eine Verfolgung aufgrund seines sunnitischen Glaubens vorgebracht hatte, im Beschwerdeverfahren seine Homosexualität als Fluchtgrund geltend machte. Auf Nachfrage, warum er nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren die Verfolgung aufgrund seiner Homosexualität vorgebracht habe, gab der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) u.a. an, dass er kein Vertrauen in den Dolmetscher gehabt habe, der aus Bagdad stamme und womöglich seine sexuelle Orientierung gegenüber seinen Landsleuten publik machen und ihn so in Gefahr bringen könnte. Das BVwG betrachtete das Vorbringen des Beschwerdeführers als unglaubhaft, da es die rein sprachliche Verständigungsebene mit der davon losgelösten Vertrauensebene zwischen dem Antragsteller und dem Dolmetscher gleichsetzte. Der VwGH, der die Entscheidung aufhob, wies in seinen Erwägungen daher zu Recht darauf hin, dass es trotz der funktionierenden Verständigung möglich blieb, dass der Beschwerdeführer dem Dolmetscher misstraute. Der VwGH erkannte damit an, dass Dolmetscher:innen über die sprachliche Ebene hinausgehend Einfluss auf die Einvernahme nehmen, indem sie die Verantwortung tragen, ein Vertrauensverhältnis zu schaffen, in dem (LGBTIQ+-)Antragsteller:innen in die Lage versetzt werden, ihre Fluchtgründe mitzuteilen. Darüber hinaus zeigt sich in dieser Entscheidung, welche gravierenden rechtlichen Konsequenzen es haben kann, wenn Dolmetscher:innen, willentlich oder unwillentlich, daran scheitern, dieses Vertrauen herzustellen.

Dolmetschen für „LGBTIQ+-Flüchtlinge“ – wirklich ohne Unbehagen?

Ein Asylverfahren bedeutet für viele Antragsteller:innen Stress und Angst, dazu kommt Unsicherheit aufgrund der Sprachbarriere. Es braucht gut informierte und sensibilisierte Dolmetscher:innen. Einerseits, damit sie sich überhaupt in der Lage sehen, die oft gewaltvollen Erfahrungen der Antragsteller:innen in ihren Heimatländern und auf der Flucht aufnehmen und kognitiv wie auch emotional verarbeiten zu können, und andererseits, damit sie diese Erfahrungen vollständig und transparent ins Deutsche übertragen können. Dolmetscher:innen kommt eine verantwortungsvolle Aufgabe zu, da ihre Sensibilität gegenüber heteronormativen Gewalterfahrungen und von Empathie geprägtes Dolmetschen die Voraussetzungen für adäquate Einvernahmen und korrekt ablaufende Asylverfahren darstellen.

Grundlegende berufsethische Prinzipien wie Vertraulichkeit, respektvoller Umgang, Unparteilichkeit, Professionalität, Genauigkeit und Vollständigkeit werden – vor allem von Laiendolmetscher:innen – oft nicht eingehalten (Falch, 2020). Queerfeindliche Kommentare und übergriffiges Verhalten durch Dolmetscher:innen aus dem Herkunftsland haben sich in der Vergangenheit in zahlreichen dokumentierten Fällen negativ auf die psychische Verfassung von Antragsteller:innen ausgewirkt. In Schweden können Antragsteller:innen etwa um Telefondolmetscher:innen ansuchen, um eine Preisgabe ihrer Identität in einem persönlichen Gespräch zu verhindern und so eine Darlegung aller Fluchtgründe zu ermöglichen. Auch in Norwegen wird bei der Bestellung berücksichtigt, dass Dolmetscher:innen nicht aus derselben Region der Asylwerber:innen stammen.

Für Dolmetscher:innen ist zudem wichtig, die Bedeutung von Selbstdefinition und Selbstidentifizierung zu verstehen. Antragsteller:innen sollten im Verfahren die Möglichkeit haben, das Ich frei zu definieren und zu beschreiben, in eigenen Worten und unter Verwendung des bevorzugten Personalpronomens. Das ist im Asylkontext besonders wichtig, da es in vielen Kulturen keine adäquaten Entsprechungen für Begriffe wie ‘Geschlecht’, ‘sexuelle Orientierung’, ‘Geschlechtsausdruck’ gibt. Hier ist eine aufgeschlossene und sensible Haltung gegenüber allen Arten von Vielfalt wichtig. Es ist immer die betroffene Person, die ihre eigene Sichtweise in Bezug auf ihre eigene Identität, sexuelle Orientierung und/oder ihr Geschlecht erklären kann.

In manchen Sprachen gibt es darüber hinaus keine neutralen Entsprechungen für LGBTIQ+-bezogene Wörter und Begriffe. Dolmetscher:innen sollten daher neben typischen international gebräuchlichen (oft englischen) Bezeichnungen auch die LGBTIQ+-bezogene Terminologie in ihren Arbeitssprachen kennen. Viele Antragsteller:innen sind sich der international verwendeten Begriffe nicht bewusst und verwenden möglicherweise andere Ausdrücke, um sich selbst und andere LGBTIQ+-Personen zu definieren, darunter auch Wörter, die vielleicht abwertend sind oder als beleidigend angesehen werden könnten, jedoch vielleicht die einzigen, die Antragsteller:innen aus ihrem Herkunftsland geläufig sind. Eine spezifische Wortwahl vonseiten der Antragsteller:innen kann zudem auch zur Selbstidentifikation dienen und sollte daher möglich vollständig wiedergegeben werden. Auch die von (Transgender-)Bewerber:innen gewählten und verwendeten Substantive und grammatikalischen Formen (weibliche oder männliche Adjektive, Verbformen, Pronomen usw.) sollten entsprechend in der Verdolmetschung wiedergegeben werden.

Way forward…

Diese Beispiele zeigen, dass themenspezifische Schulungen und Sensibilisierung im Hinblick auf eigene ‘blinde Flecken’ und vielleicht unbewusste Vorurteile und Stereotypen zentral für qualitätsvolles Dolmetschen in derart sensiblen Verfahren sind. 2023 fand beispielsweise unter dem Titel “Dolmetschen ohne Unbehagen” erstmals eine gemeinsame Schulung von Dolmetscher:innen durch Vertreter:innen von Queer Base, UNHCR und des Zentrums für Translationswissenschaft der Universität Wien am VHS-lernraum.Wien statt, der mit knapp 100 Teilnehmer:innen zeigte, dass reges Interesse an der Thematik herrscht. Dolmetscher:innen stehen zudem zur Vorbereitung bereits einige frei zugängliche Glossare oder Handreichungen zur Verfügung, etwa die Handreichung für Dolmetscher:innen der Schwulenberatung Berlin oder das Glossary von ORAM (Organisation for Refugees, Asylum and Migration).

Wünschenswert wäre zudem, dass alle beteiligten Institutionen gemeinsam weiter an Maßnahmen zur Qualitätssicherung arbeiten und hierbei auch Good Practices anderer Länder berücksichtigt werden.


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