VfGH: Neue Rechtsprechung zur Aufnahmesituation Schutzberechtigter in Griechenland
15. Juli 2025 in
Rechtsprechung
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Tags: europäisches Asylsystem, Griechenland, Schutzstatus, VfGH
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Bei der Frage, ob anerkannte Schutzberechtigte bei ihrer Rückkehr nach Griechenland die Gefahr einer Verletzung ihrer nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen haben, differenziert der VfGH nunmehr zwischen vulnerablen und nichtvulnerablen Personen.
In der März-Session hat sich der VfGH mit der Frage der Rechtmäßigkeit einer auf § 4a AsylG 2005 gestützten Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz einer in Griechenland schutzberechtigten Person befasst. Der Beschwerdeführer – ein afghanischer Staatsangehöriger, dem im April 2024 der Status des anerkannten Flüchtlings zuerkannt worden war – stellte im Juni 2024 einen (weiteren) Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Zu seiner Situation in Griechenland brachte er im behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Wesentlichen vor, sich dort nach der Statuszuerkennung in einer prekären Lage befunden zu haben. Von staatlicher Seite habe er weder eine gesicherte Unterkunft, noch Lebensmittel oder finanzielle Unterstützungsleistungen erhalten.
In seiner abweisenden Entscheidung zu E 3882/2024 erachtet der VfGH die Schlussfolgerung des BVwG, wonach der Beschwerdeführer im Falle seiner Überstellung nach Griechenland nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, in seinem durch Art. 3 EMRK geschützten Recht verletzt zu werden, aus verfassungsrechtlicher Perspektive als nachvollziehbar. Begründend streicht der VfGH hervor, dass das BVwG vor dem Hintergrund aktueller Länderinformationen (insb. der Staatendokumentation), der individuellen Situation des Beschwerdeführers als young able man (als junger, gesunder Mann mit Berufserfahrung als Sportler/Trainer) und der Versorgungsituation von schutzberechtigten Rückkehrern nach Griechenland (unter Berücksichtigung des Zuganges zum Arbeitsmarkt, zu Sprachkursen, zum Wohnungsmarkt, zu Hilfsprojekten) eine vertretbare Einzelfallprüfung vorgenommen hat. Der VfGH hält – für ihn untypisch – selbst ausdrücklich fest, dass sich die Versorgungslage für Schutzsuchende in Griechenland ausweislich der Länderinformationen im Vergleich zur früheren Situation verbessert hat (mit Verweis auf VfSlg. 20.478/2021; vgl. weiterführend hier). Im Ergebnis geht er damit teilweise – in Bezug auf nichtvulnerable Personen – von seiner seit dem Jahr 2021 bestehenden Rechtsprechung zu in Griechenland Schutzberechtigen ab.
Daneben hat der VfGH unter Verweis auf das Vorliegen einer Einzelfallzusage Griechenlands betreffend die Unterbringung und Versorgung eines – ebenfalls nichtvulnerablen – Beschwerdeführers zu E 4746/2024 sowie dessen Zugang zu einem Asylverfahren die Beschwerdebehandlung in Hinblick auf eine Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz nach § 5 AsylG 2005 abgelehnt.
Mit dieser (Neu-)Beurteilung ist der VfGH nicht allein: Auch das deutsche Bundesverwaltungsgericht geht im Rahmen einer jüngst ergangenen „Tatsachenrevision“ (vgl. § 78 Abs. 8 AsylG) davon aus, dass nach Griechenland zurückkehrende, arbeitsfähige, gesunde und alleinstehende junge männliche Schutzberechtigte dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine extreme materielle Notlage geraten, die es ihnen nicht erlaubt, ihre elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Ernährung und Hygiene zu befriedigen. Der VwGH hat zudem im Rahmen einer Revisionszurückweisung beschlossen, dass das in der Revision monierte Unterbleiben der Auseinandersetzung mit der Einstellung des griechischen HELIOS-Programmes durch das Verwaltungsgericht für sich keinen relevanten Verfahrensmangel darstellt, zumal das Verwaltungsgericht eine mögliche Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC vertretbar auch auf Grund anderer Umstände verneint hatte.
Mit dem in der Juni-Session ergangenen stattgebenden Erkenntnis zu E 90-92/2025 hat der VfGH im Ergebnis festgehalten, dass die oben dargestellte Rechtsprechung nicht auch auf vulnerable Personen übertragen werden kann. Zunächst hebt der VfGH in der Entscheidung hervor, dass das BVwG bei der Prüfung der drohenden Verletzung der nach Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte von schutzbedürftigen Personen einen besonderen Sorgfaltsmaßstab anzuwenden hat.
Im Anlassfall handelte es sich um eine afghanische Familie mit einem fünfjährigen Sohn mit nur einer Niere. Den Beschwerdeführern wurde im Jänner 2024 der Status von Asylberechtigten in Griechenland zuerkannt. Im Februar 2024 stellten sie (weitere) Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Das BVwG ging im Wesentlichen davon aus, dass der Sohn an keiner akuten bzw. behandlungsbedürftigen Erkrankung leide und daher auch dem Minderjährigen ein Leben in Griechenland zumutbar sei, zumal es dort ausreichende medizinische Versorgung gäbe. Der VfGH hält dem entgegen, dass sich das BVwG weder ausreichend mit einer eingeholten ärztlichen Stellungnahme auseinandergesetzt oder diese mit den Beschwerdeführern im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erörtert, noch konkret dargelegt hat, aus welchen Länderinformationen es einen entsprechenden Zugang des Minderjährigen zu medizinischer Versorgung für gegeben erachtet. Vor dem Hintergrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der Beschwerdeführer erkennt der VfGH darin ein Unterlassen der gebotenen Ermittlungstätigkeit und hebt die angefochtene Entscheidung wegen Willkür auf.
Bearbeiter: Johannes Schön