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3T im Asylrecht – Vom gesetzgeberischen Handlungsbedarf zur Schaffung neuer Aufenthaltstitel im Zuge der Umsetzung des EU-Asyl- und Migrationspakts

4. September 2025 in Beiträge
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Tags: Akteur, Familienverfahren, GEAS-Reform, gesetzgeberischer Handlungsbedarf, Missbrauch

Mag.a Verena Kiesling

Mag.a Verena Kiesling arbeitet seit mehreren Jahren als juristische Mitarbeiterin am Bundesverwaltungsgericht und ist dort aktuell in der Koordination Fremdenwesen und Asyl tätig.


In seinem – mit Blick auf die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung augenzwinkernd – mit „3G im Asylrecht“ betitelten Beitrag hat sich Mag. Peter Nedwed vor vier Jahren an dieser Stelle mit drei gesetzlichen Baustellen im Asylwesen beschäftigt, in denen der Gesetzgeber schon damals gefordert gewesen wäre. Diesen Beitrag und seinen Titel gleichsam aufgreifend soll im Folgenden aufgezeigt werden, dass sich der Gesetzgeber – der nunmehr in der Umsetzung des EU-Asyl- und Migrationspakts zwingenden Handlungsbedarf hat – angesichts der Statusverordnung vor allem zu drei neuen Aufenthaltstiteln („3T“) Gedanken machen muss.

Subsidiärer Schutz

Die größte Änderung wird die österreichische Asylrechtspraxis ironischerweise in einem Bereich erfahren, in dem sich die Statusverordnung (folgend: StatusVO) gegenüber der ihr vorangehenden Statusrichtlinie (folgend: StatusRL) gar nicht ändert – nämlich beim subsidiären Schutz:

Nach wie vor wird in Österreich gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 der Status des:der subsidiär Schutzberechtigten bei jeglicher Verletzung der Rechte nach Art 2 und 3 EMRK erteilt; dies eben auch dann, wenn eine reale Gefahr einer derartigen Verletzung droht, die nicht von einem Akteur ausgeht, wie zum Beispiel bei einer schweren Krankheit, einer nicht ausreichenden Versorgungslage oder Naturkatastrophen. Zukünftig wird Art 15 StatusVO (wie bereits bisher die gleichlautende Bestimmung der StatusRL) als Voraussetzung für eine Zuerkennung von subsidiärem Schutz einen Akteur verlangen, von dem der „ernsthafte Schaden“ auszugehen hat. Zwar ist bereits seit den gerichtlichen Entscheidungen des EuGH in den Fällen M‘Bodj (C-542/13) im Jahr 2014 und MP (C-353/16) im Jahr 2018 klar, dass § 8 AsylG 2005 dem Unionsrecht (Art 15 StatusRL) widerspricht; der Gesetzgeber nahm dies aber nicht zum Anlass, eine Gesetzesänderung vorzunehmen. Daran änderte auch die deutliche Aussage des VwGH in der Entscheidung vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006, nichts.

Aus der unmittelbaren Anwendbarkeit der StatusVO ergibt sich, dass nun tatsächlich der Status des:der subsidiär Schutzberechtigten nur mehr dann erteilt werden kann, wenn der „ernsthafte Schaden“ von einem Akteur ausgeht. Das bedeutet aber auch, dass jene Personen, denen ein „ernsthafter Schaden“ (im Sinne einer Verletzung ihrer Rechte nach Art 2 oder 3 EMRK) im Herkunftsstaat zum Beispiel aufgrund einer Naturkatastrophe drohen würde, keinen subsidiären Schutz mehr erhalten können. Für diese Personen muss also eine rechtliche Grundlage für einen legalen Aufenthalt geschaffen werden, da eine Abschiebung in solchen Fällen dem Refoulement-Verbot widersprechen würde. Interessant wird sein, in welcher Form der Gesetzgeber diesen neuen Aufenthaltstitel ausgestalten wird (die Einbettung in den derzeitigen § 57 AsylG 2005 wäre eine naheliegende Möglichkeit). Die betreffenden antragstellenden Personen lediglich auf die Duldung zu verweisen, scheint jedenfalls nicht zulässig, würde man dieser – sehr großen – Personengruppe damit doch überhaupt keinen Aufenthaltstitel zugestehen und dürfte dies auch mit Blick auf das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verfassungsrechtlich problematisch sein.

Familienverfahren

Eine weitere Änderung mit besonderer Relevanz für Österreich ergibt sich im Rahmen von Familienverfahren. Während bisher gemäß § 34 AsylG 2005 einem Familienmitglied der gleiche Schutzstatus wie der Bezugsperson – zumindest hinsichtlich des Status des:der Asylberechtigten – ohne individuelle Prüfung (vgl. VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418) zuerkannt wurde, tritt an die bisherige abgeleitete Schutzstatusvergabe künftig die Verpflichtung zur Prüfung, ob jedem einzelnen Familienmitglied individuell ein Schutzstatus nach der StatusVO aufgrund eigener Gründe zuzuerkennen ist. Kommt man infolge dieser Prüfung zum Ergebnis, dass ein originärer Erwerb eines Schutzstatus nicht möglich ist, ist gemäß Art 23 Abs 1 StatusVO ein Aufenthaltstitel nach nationalem Recht auszustellen. Der Gesetzgeber wird einen entsprechenden Aufenthaltstitel also schaffen müssen; da Art 23 deutlich auf einen Aufenthaltstitel „nach den nationalen Verfahren“ abstellt und damit die Schutztitel nach der StatusVO ausschließt, kann das bisherige System nach § 34 AsylG 2005 keinen Bestand mehr haben.

Missbräuchlich gesetzte Nachfluchtgründe

In Art 5 StatusVO wird nun ausdrücklich klargestellt, dass die Gewährung eines Schutzstatus abgelehnt werden kann, wenn die Gefahr einer Verfolgung auf Umständen beruht, die die antragstellende Person nach Verlassen des Herkunftsstaates missbräuchlich („zu dem alleinigen oder hauptsächlichen Zweck herbeigeführt hat, die notwendigen Voraussetzungen für die […] Gewährung des internationalen Schutzes zu schaffen“) herbeigeführt hat. Allerdings bedarf jede getroffene Entscheidung über einen solchen Antrag der rechtlichen Vereinbarkeit mit ua der GFK.

Die Neuregelung in Art 5 StatusVO ist Ausfluss der – auf Basis eines Vorabentscheidungsersuchens des VwGH zu § 3 Abs 2 zweiter Satz AsylG 2005 iVm Art 5 Abs 3 StatusRL ergangenen – Entscheidung des EuGH vom 29.02.2024, C‑222/22. In diesem Urteil hielt der EuGH erneut fest, dass die Eigenschaft als Flüchtling iSd der GFK bzw Art 2 lit d StatusRL von der förmlichen Anerkennung einer solchen Eigenschaft durch die Gewährung der „Flüchtlingseigenschaft“ iSd Art 2 lit e StatusRL (bzw in Österreich durch die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005) zu unterscheiden ist (Rn 40). Insofern kann bei Missbrauchsabsicht die Anerkennung als Flüchtling verweigert werden, was aber – bei entsprechender Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund – nichts an der Stellung als Flüchtling iSd GFK und den damit verbundenen Rechten ändert (Rn 44).

Im Zusammenhang mit der neuen Regelung stellt sich nun die Frage, unter welchen Voraussetzungen überhaupt von einer missbräuchlichen Setzung der geltend gemachten Gründe ausgegangen werden kann. Es erscheint kaum möglich, eindeutige Fallkonstellationen auszumachen bzw. klare Grenzen zu nicht missbräuchlich gesetzten Fluchtgründen zu ziehen, weil es im konkreten Einzelfall auf die missbräuchliche Absicht – und damit das forum internum der antragstellenden Person – ankommen wird. Denkbare Fälle, wie zB die bewusste Teilnahme einer antragstellenden Person an einer Demonstration vor der Botschaft des Herkunftsstaats im Aufnahmemitgliedstaat oder absichtliche regimekritisch getätigte Äußerungen auf sozialen Medien, werden letztlich daran zu messen sein.

Art 5 Abs 2 StatusVO stellt es für die Fälle, in denen nun ein Nachfluchtgrund in missbräuchlicher Absicht gesetzt wurde, frei, die Gewährung des internationalen Schutzes abzulehnen. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung nicht im Widerspruch zur GFK stehen darf. Künftig wird es daher für diese Fälle wohl erforderlich sein, einen eigenständigen Aufenthaltstitel zu etablieren, der im Einklang mit den normativen Vorgaben steht. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie der Satzteil „sofern jede getroffene Entscheidung […] mit [der GFK] vereinbar ist“ auszulegen ist und ob darunter auch weiterreichende materielle Garantien der GFK umfasst sind. So sieht die GFK ja für Flüchtlinge – über die zentrale Bestimmung des Verbots der Ausweisung oder der Zurückweisung gemäß Art 33 hinaus – weitgehende Rechte im Bereich Eigentum, Bildung, Arbeitsmarkt, Unterkunft und mehr vor, die ein neuer Aufenthaltstitel vermitteln müsste, wenn eine Antragsablehnung wegen Missbrauchs vollständig mit der GFK „vereinbar“ sein soll.

Betrachtet man hingegen die bereits erwähnte Entscheidung des EuGH vom 29.02.2024, C‑222/22, ergibt sich daraus, dass eine antragstellende Person, die die Verfolgungsgefahr in einer missbräuchlichen Weise herbeigeführt hat, jene Rechte in Anspruch nehmen kann, die durch die GFK gewährleistet werden, die gemäß Art 42 Abs 1 GFK keinem Vorbehalt unterliegen (Rn 44). Diese Entscheidung ist auf der Grundlage der StatusRL ergangen, in der davon die Rede war, dass die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die die antragstellende Person nach Verlassen des Herkunftsstaats selbst geschaffen hat; daher liegt es nahe, dass nun, da die VO zusätzlich eine Einschränkung auf eine von der antragstellenden Person in missbräuchlicher Absicht herbeigeführte Verfolgungsgefahr enthält, zur Interpretation die Entscheidung C‑222/22 heranzuziehen und insofern bloß eine Gewährung der nach der GFK gewährleisteten Rechte, die nach Art 42 Abs 1 GFK keinem Vorbehalt unterliegen dürfen, zu garantieren ist. Fraglich ist, ob insofern lediglich eine Duldung dieser Personen ausreichen würde.

Der gesetzgeberische Handlungsbedarf ist jedenfalls evident; ob und in welchem Umfang zukünftige Rechtsprechung eine präzise Auslegung liefern wird, bleibt abzuwarten.


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