Zur ersten Vorlagefrage
Im Vorlageantrag zu Ra 2021/20/0246 (C-663/21) beschäftigt sich der VwGH mit der Bestimmung des § 6 Abs 1 Z 4 AsylG 2005, welche einen Fremden von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausschließt, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und deswegen eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich der Vorgängerbestimmung des § 13 Abs 2 AsylG 1997, wobei beide dieser Bestimmungen stets im Lichte der Art 33 Z 2 GFK und Art 3 EMRK zu betrachten sind (vgl. die Materialien zum AsylG 2005 sowie zum AsylG 1997).
Art 33 GFK sieht vor, dass ein Flüchtling nicht in Gebiete aus- bzw. zurückgewiesen wird, in denen sein Leben oder seine Freiheit aus einem Konventionsgrund bedroht sei (Non-Refoulement-Gebot). Diesem Grundprinzip werden in der darauffolgenden Ziffer der genannten Bestimmung Schranken dahingehend gesetzt, dass – so iW der Gedanke der Ausnahmebestimmung – Staaten nicht verpflichtet sind, Personen in ihrem Staatsgebiet zu dulden, die aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Sicherheit des Landes oder die Allgemeinheit darstellen.
Mit der Ausnahmebestimmung des Art 33 Z 2 GFK hat sich der VwGH – mit Blick auf § 13 Abs 2 AsylG 1997 – bereits in seinem Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, 99/01/0288, auseinandergesetzt. Der VwGH kam – in Anlehnung an internationale Literatur – zum Ergebnis, dass kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden dürfe. Er müsse erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden sein, drittens gemeingefährlich sein und viertens müssten die öffentlichen Interessen an der Rückschiebung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen.
Dem Ausgangsfall zu Ra 2021/20/0246 lag ein Sachverhalt zugrunde, in welchem dem staatenlosen Fremden (in der Folge: Mitbeteiligter) der Status des Asylberechtigten im Jahr 2015 zuerkannt wurde, weil ihm im Falle einer Rückkehr nach Syrien asylrelevante Verfolgung drohe. Der Mitbeteiligte wurde während seines Aufenthalts in Österreich mehrfach rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. In der Folge erkannte das BFA dem Mitbeteiligten den zuvor zuerkannten Schutzstatus ab und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot, erklärte seine Abschiebung jedoch für unzulässig. Das BVwG hob diese Entscheidung mit der Begründung auf, dass zwar die in der Rechtsprechung aufgestellten ersten drei Voraussetzungen zur Bejahung des § 6 Abs 1 Z 4 AsylG 2005 vorlägen, aber die nach der Rechtsprechung („viertens“) geforderte Güterabwägung zu Gunsten des Mitbeteiligten auszufallen habe, weil weiterhin das Verfolgungsszenario gegeben sei.
Es stelle sich nunmehr die Frage, ob der Aberkennungsgrund nach Art 14 Abs 4 lit b der Statusrichtlinie (RL 2011/95/EU) so zu verstehen sei, dass sich eine Güterabwägung verbiete und der Gedanke in den Vordergrund zu rücken sei, dass der Fremde wegen von ihm gesetzter Handlungen des Schutzes unwürdig sei.
Zusammengefasst gilt es, um einer ungleichförmigen Auslegung des Aberkennungsgrundes des Art 14 Abs 4 lit b der Statusrichtlinie vorzubeugen, zu beurteilen, ob im Rahmen der Aberkennung eine Güterabwägung erforderlich sei, im Rahmen derer geprüft wird, ob jene Gefahr, die dem Fremden durch die Rückkehr in sein Heimatland aufgebürdet wird, im Verhältnis zu der von ihm ausgehenden Gefahr hingenommen werden kann.
Zur zweiten Vorlagefrage
Nach der österreichischen Rechtslage geht mit der Aberkennung eines Schutzstatus der Verlust des aufgrund dieses Status eingeräumten Aufenthaltsrechts einher. Der Aufenthalt des Fremden ist damit nicht länger rechtmäßig, weshalb eine Rückkehrentscheidung mit der Aberkennung erlassen werden kann (§ 52 Abs 1 Z 1 FPG). Wird aber gleichzeitig mit der Rückkehrentscheidung gemäß § 8 Abs 3a und § 9 Abs 2 AsylG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung unzulässig ist, gilt der Fremde iSd § 46a FPG als geduldet, womit jedoch kein rechtmäßiger Aufenthalt verbunden ist (vgl. § 31 Abs 1a Z 3 FPG).
Es stelle sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach einer Aberkennung auch dann zulässig ist, wenn bereits im Zeitpunkt ihrer Erlassung feststeht, dass die Abschiebung auf unbestimmte Dauer unzulässig ist, zumal in einem solchen Fall der Verpflichtung des Mitgliedstaates nach Art 8 Abs 1 der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG), alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung zu ergreifen, nicht nachgekommen werden könne. Dieser Auffassung stehe auch der in Art. 9 der Rückführungsrichtlinie vorgesehene Aufschub der Abschiebung nicht entgegen, der Konstellationen vor Augen habe, in denen eine Abschiebung in absehbarer Zeit möglich werden könne.
Bearbeitet von: Mag. Samy Assadi, LL.M. (WU) BSc (WU) LL.B. (WU)