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BVwG: Asylgewährung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen mit einem unehelichen Kind in einer von der Al-Shabaab infiltrierten Provinz

BVwG 31.10.2022, W186 2230950-1/15E ua


Die Beschwerdeführerin verfügt als Mutter eines unehelichen Kindes über einen nicht veränderbaren Hintergrund. Zudem stellt die soziale Gruppe der alleinstehenden Frauen mit einem unehelichen Kind nach den Ausführungen der EUAA Country Guidance Somalia eine deutlich abgegrenzte Identität dar, die gesellschaftlichen Stigmatisierungen ausgesetzt ist.

Die Beschwerdeführerin, eine somalische Staatsangehörige, reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 26.08.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des BFA vom 16.04.2020 wurde dieser Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen. Zudem wurde der Beschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen, ihre Abschiebung nach Somalia für zulässig erklärt sowie eine 14-tägige Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt.

Einer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 31.10.2022, W186 2230950-1/15E ua, stattgegeben und der Beschwerdeführerin gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Das BVwG stellte fest, die Beschwerdeführerin laufe als alleinstehende Frau mit einem unehelichen Kind im Falle einer Rückkehr in ihre von der Al-Shabaab infiltrierte Heimatprovinz, Lower Shabelle, Gefahr, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt sowie gegen ihren Willen zwangsverheiratet zu werden. Der Beschwerdeführerin stehe keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

Beweiswürdigend wurde festgehalten, die Beschwerdeführerin stamme aus der Stadt Qoryooley in der Provinz Lower Shabelle. Den Länderinformationen des COI-CMS Somalia und der EUAA Country Guidance Somalia sei zu entnehmen, dass die Provinz Lower Shabelle eine derjenigen Provinzen ist, die von Angriffen der Al-Shabaab am meisten betroffen ist. Zwar lasse sich einer Quelle entnehmen, dass sich die Stadt Qoryooley unter Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM befindet. Nach einer anderen Quelle besitze jedoch die Bundesregierung kaum Legitimität und kontrolliere lediglich Mogadischu. Zudem habe Al -Shabaab in den Gebieten von Qoryooley und Kurtunwaarey die Bewohner einiger Dörfer zwangsvertrieben. Aufgrund dieser teils widersprüchlichen Berichte könne nicht mit der für ein Asylverfahren notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass Al-Shabaab in der Heimatstadt der Beschwerdeführerin aktiv ist und einen wesentlichen Einfluss ausübt bzw. Qoryooley gar kontrolliert.

Sofern von einer Kontrolle bzw. einer wesentlichen Einflussnahme der Al-Shabbab in Qoryooley ausgegangen werde, sei zu befürchten, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in ihre Heimatstadt schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wird. In diesem Zusammenhang sei erneut auf die Angaben des COI-CMS Somalia zu verweisen, wonach Al-Shabaab Zivilisten töte, entführe oder misshandle, geschlechtsspezifische Gewalt verübe und Frauen einer Zwangsehe zuführe. Gerade die letzten beiden Punkte würden im Falle der Beschwerdeführerin besonders relevant erscheinen, da sie mittlerweile Mutter eines unehelichen Kindes sei, was in der somalischen Gesellschaft als Schande für die ganze Familie der Frau erachtet werde und zu Stigmatisierungen von Mutter und Kind führe. Erschwerend komme dabei hinzu, dass die Beschwerdeführerin dem BVwG glaubhaft vermitteln habe können, über keinen Kontakt mehr zu ihren Familienangehörigen zu verfügen. Diese Befürchtungen würden auch durch die Ausführungen in der EUAA Country Guidance Somalia untermauert.

In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, nach den getroffenen Feststellungen sei von Verfolgung in asylrelevanter Intensität im Sinne der GFK, und zwar aus Gründen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen mit einem unehelichen Kind, auszugehen. Die Beschwerdeführerin verfüge als Mutter eines unehelichen Kindes über einen nicht veränderbaren Hintergrund. Zudem stelle die soziale Gruppe der alleinstehenden Frauen mit einem unehelichen Kind nach den Ausführungen der EUAA Country Guidance Somalia eine deutlich abgegrenzte Identität dar, die gesellschaftlichen Stigmatisierungen ausgesetzt sei. Diese Einschätzung entspreche der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Verfolgung einer Asylwerberin aufgrund „Zwangsverheiratung“ unter dem Gesichtspunkt einer geschlechtsspezifischen Verfolgung als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention asylrelevant sein könne.

Die Verfolgungshandlungen durch Al-Shabaab würden zwar von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen, es sei jedoch anhand der Länderberichte notorisch, dass der somalische Staat unfähig ist, die Beschwerdeführerin vor diesen Verfolgungshandlungen zu schützen.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei sowohl nach den Angaben der EUAA Country Guidance Somalia als auch nach den Ausführungen in den UNHCR-Richtlinien zu Somalia aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine alleinstehende Frau mit einem unehelichen Kind handle, ausgeschlossen.

Zusammenfassend sei daher festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK erfüllt, da sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen mit einem unehelichen Kind verfolgt zu werden, außerhalb des Heimatlandes befinde und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt sei, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Bearbeitet von: Mag. Moritz Hessenberger

 

 


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