Recht und Wissenschaft in Österreich

VwGH: Syrische Wehrdienstverweigerer – Die Prüfung von Asyl darf sich nicht auf einen Teil des Heimatstaats beschränken und sie verlangt immer eine Einzelfallprüfung, ob ein Wehrdienstverweigerer aus einem Konventionsgrund verfolgt wird


Mit Erkenntnis vom 4. Juli 2023, Ra 2023/18/0108, hat der Verwaltungsgerichtshof ein seit einiger Zeit herrschendes rechtliches Missverständnis beseitigt, das auch im Blogasyl schon behandelt worden ist.

Immer wieder hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) entschieden, dass syrische Asylwerber, die den Wehrdienst verweigerten, in ihrer Heimatregion keiner Gefahr ausgesetzt seien, vom syrischen Staat rekrutiert zu werden, weil dieser dort keine Kontrolle ausüben könne. Wie der Asylwerber in diesen sicheren Landesteil kommen könne, ohne bereits zuvor von syrischen Sicherheitskräften aufgegriffen zu werden, sei – so das BVwG unter Berufung auf frühere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes – nicht von Bedeutung.

Diese rechtliche Schlussfolgerung hat der Verwaltungsgerichtshof nun korrigiert. Einem Fremden ist nämlich dann Asyl zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Die Prüfung der Verfolgungsgefahr hat sich auf den gesamten Herkunftsstaat zu beziehen und kann nicht nur hinsichtlich der Herkunftsregion stattfinden. Insofern ist auch ein Fluchtvorbringen, wonach einem Asylwerber schon auf dem Weg in eine sichere Herkunftsregion Verfolgung durch die syrischen Behörden drohen würde, beachtlich und kann zu Asyl führen.

Der Verwaltungsgerichtshof betonte in dieser Entscheidung aber auch, dass die Wehrdienstverweigerung nur dann Asyl rechtfertigt, wenn es neben einer drohenden Verfolgungshandlung gegen den Asylweber auch eine Verknüpfung zu einem der Verfolgungsgründe der GFK (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Gesinnung) bzw. Statusrichtlinie gibt. Die Verweigerung des Militärdienstes kann nämlich auch aus Gründen erfolgen, die in der GFK bzw. Statusrichtlinie keine Deckung finden, wie etwa der bloßen Furcht, sich den Gefahren auszusetzen, die die Ableistung des Militärdienstes im Kontext eines bewaffneten Konflikts mit sich bringt. Die Plausibilität der Verknüpfung zwischen der Verfolgungshandlung und den Verfolgungsgründen ist auch nach Auffassung des EuGH immer im Einzelfall zu prüfen und kann nicht automatisch angenommen werden.


Twitter Facebook Linkedin Email Print Whatsapp Telegram

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Weitere Beiträge

22. Juni 2023 von Mag.a Lina Hössl-Neumann in Beiträge

Der asylrechtliche „Herkunftsort“

Anlässlich zweier VwGH-Entscheidungen kommt es zu einer überraschenden Judikaturdivergenz am BVwG bezüglich einer grundlegenden, materiellen Asylrechtsfrage mit weitreichenden Auswirkungen: Ist Verfolgung nur dann asylrelevant, wenn sie am Herkunftsort der Person droht, oder auch, wenn sie an anderen Orten im Herkunftsstaat – etwa bei Einreise am Flughafen – erwartet wird? Herangehensweisen aus der Doktrin rund um die interne Fluchtalternative werden mit der Beurteilung der eigentlichen Verfolgungsgefahr vermischt. Das Gesetz gibt den Schluss, ausschließlich Verfolgung am Herkunftsort wäre relevant, nicht her.

Mehr lesen