Zu Art. 47 GRC: Der VfGH hält fest, dass die Rechtsberatung eines Fremden vor dem BFA und die Rechtsberatung und Rechtsvertretung eines Fremden vor dem BVwG insofern miteinander verknüpft sind, als die Beratungstätigkeit vor dem BFA wesentlich auch dem Ziel dient, Fremden eine effektive Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Rechte in einem allfälligen Rechtsschutzverfahren vor dem BVwG zu ermöglichen (er verweist hierbei auf EuGH 9.9.2020, C-651/19, JP, Rz 62). Rechtsberatung und Rechtsvertretung sind insgesamt als ein Komplementärmechanismus zur Verfahrenshilfe des § 8a VwGVG anzusehen. In diesem speziellen System der Rechtsberatung und -vertretung durch die BBU GmbH und ihre Rechtsvertreter bedarf die Stellung des Rechtsberaters einer entsprechenden Unabhängigkeit gegenüber dem BFA und dem, dem BFA gegenüber weisungs- und leitungsbefugten Bundesminister für Inneres. Dies gilt insbesondere für die Rechtsberatung und -vertretung des Fremden im Verfahren vor dem BVwG, in dem der Fremde dem BFA als Partei gegenübersteht. Die Sicherung der Unabhängigkeit dient der Erfüllung der Anforderungen des Art. 47 GRC an eine effektive gerichtliche Durchsetzung der gesetzlichen Rechte des Fremden.
Die durch die BBU GmbH besorgte Rechtsberatung und -vertretung muss also entsprechend unabhängig und weisungsfrei erfolgen. Dem wird die geltende Rechtslage nach Ansicht des VfGH nicht gerecht. Während in § 13 BBU-G zwar geregelt ist, dass die Rechtsberater der BBU GmbH bei der Durchführung der Rechtsberatung gemäß § 49 BFA-VG bzw. der Rechtsberatung und -vertretung gemäß § 52 BFA-VG unabhängig sind und diese weisungsfrei wahrzunehmen haben, ergeben sich nähere Regelungen zur Sicherstellung dieser Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Rechtsberater nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern aus dem – gemäß § 8 BBU-G vom Bundesminister für Inneres (bezüglich der Rechtsberatung und-vertretung vor dem BVwG im Einvernehmen mit der Bundesministerin für Justiz) – abzuschließenden Rahmenvertrag mit der BBU GmbH. Diese (bloß) vertraglichen Regelungen reichen aber nach Ansicht des VfGH nicht aus, um die aus Art. 47 GRC folgenden Unabhängigkeitsanforderungen an die Rechtsberatung und -vertretung effektiv umzusetzen. Der Umstand, dass die Geschäftsführung der BBU GmbH bei Abschluss des Rahmenvertrages der gesellschaftsrechtlichen Weisungsbindung gemäß § 20 Abs. 1 GmbHG an die Gesellschafterversammlung und damit an den Bundesminister für Inneres als Gesellschaftervertreter (der hinsichtlich der Rechtsberatung und -vertretung vor dem BVwG das Einvernehmen mit der Bundesministerin für Justiz herzustellen hat) unterliegt, schließt es aus, in dieser vertraglichen Vereinbarung allein eine wirksame rechtliche Absicherung der gesetzlich statuierten Unabhängigkeit der Rechtsberater in der BBU GmbH zu sehen.
Eine effektive Unabhängigkeit verlangt vielmehr – über die gesetzliche Statuierung der Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der die Aufgaben der Rechtsberatung und -vertretung für die BBU GmbH wahrnehmenden Rechtsberater hinaus – eine gesetzliche Konkretisierung und Absicherung dieser Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Rechtsberater insbesondere im Hinblick auf ihre Stellung in der Organisation der BBU GmbH (etwa bezüglich Dienst- und Fachaufsicht), ihr Aufgabenfeld (etwa hinsichtlich der Zuweisung und allfälligen Abnahme von Beratungs- und Vertretungsfällen) sowie eine ihre Unabhängigkeit sichernde Ausgestaltung ihres Dienstverhältnisses und einen besonderen Entlassungs- und Kündigungsschutz. Diese Anforderungen gelten auch dann, wenn die Durchführung eines solchen Komplementärmechanismus anderen, auch privaten Rechtsträgern übertragen wird.
Zu Art. 20 Abs. 2 B-VG: Der VfGH legt mit näherer Begründung dar, dass es sowohl bei der Rechtsvertretung des Fremden vor dem BVwG als auch – angesichts des engen Zusammenhangs zwischen Rechtsberatung und -vertretung und deren Funktion als (einheitlicher) Komplementärmechanismus – bei der Rechtsberatung um Aufgaben handelt, deren Besorgung durch die BBU GmbH und ihre Rechtsberater mit nicht hoheitlichen, privatrechtsförmigen Mitteln erfolgt. Diese Aufgabenwahrnehmung stellt – entgegen der vorläufigen Annahme des VfGH in seinem Prüfungsbeschluss – keine funktionell staatliche Verwaltungsführung iSd Art. 20 Abs. 1 B-VG dar. Vor diesem Hintergrund erübrigen sich von vornherein die weiteren, im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken des VfGH im Hinblick auf Art. 20 Abs. 2 B-VG.
Bearbeitet von: Dr. Martina Lais