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BVwG: Nichtzuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten an eine ukrainische Staatsangehörige


„Ungeachtet der – für das Bundesverwaltungsgericht derzeit bloß entfernten –  Möglichkeit in der Herkunftsregion direkt oder indirekt von Kriegsfolgen betroffen zu sein, besteht für die Beschwerdeführerin nach der derzeitigen niedrigen Gefahrenlage in westlich gelegenen Landesteilen kein reales Risiko der Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte.“

Die Beschwerdeführerin, eine ukrainische Staatsangehörige, reiste spätestens im Juli 2012 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 03.07.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, welcher mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.11.2014, W196 1428209-1/10E, rechtskräftig vollinhaltlich abgewiesen wurde. In weiterer Folge erteilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 17.03.2017 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG, erließ gegen diese eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung in die Ukraine zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrug 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.05.2017, W226 1428209- 2/2E, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 17.03.2017 in allen Punkten als unbegründet abgewiesen.

Am 06.07.2017 stellte die Beschwerdeführer einen Folgeantrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, welcher wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde eine Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführerin erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Ukraine zulässig ist. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.02.2019, W212 1428209-3/7E, rechtskräftig vollinhaltlich abgewiesen.

Am 06.04.2023 stellte die Beschwerdeführerin einen erneuten Folgeantrag, ihren insgesamt dritten Antrag auf internationalen Schutz, im Bundesgebiet.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.11.2023 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Es wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG wurde gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG als auf Dauer unzulässig erkannt und gemäß § 58 Abs. 2 sowie 3 AsylG 2005 iVm § 55 AsylG 2005 der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt.

Die Beschwerdeführerin zog die Beschwerde gegen Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten folglich zurück. Eine gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgerichts mit Erkenntnis vom 22.05.2024, W226 1428209-4/9E, ab.

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die Sicherheitslage in der gesamten Ukraine zwar aufgrund des Krieges mit der Russischen Föderation unberechenbar sei und es zu sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land komme, darunter auch zu Angriffen auf kritische Infrastruktur, wodurch die Versorgung – jedenfalls regional unterschiedlich – schwierig sei. Dennoch lasse sich den Länderberichten entnehmen, dass sich die Kampfhandlungen auf den Osten und den Süden der Ukraine konzentrieren würden und sei feststellbar, dass seit Kriegsbeginn im Februar 2022 mehrere Millionen ukrainische Staatsangehörige auch wieder in ihr Herkunftsland zurückgekehrt seien. Der Großteil der Bevölkerung habe die Ukraine nie wegen der Kampfhandlungen verlassen.

Auch die Beschwerdeführerin verfüge noch über ihre Eltern und ihren Sohn in der Ukraine, welche in Dnjeprpetrowsk bzw. Apostolowo, sohin im eher östlichen Teil der Ukraine, wohnen würden, in welchem es laut aktuellen Länderberichten immer wieder zu sicherheitsrelevanten Vorfällen komme. Diese Städte würden jedoch nicht an der Frontlinie liegen. Der Beschwerdeführerin stehe es jedoch darüber hinaus frei, sich in einem anderen, sicheren Gebiet der Ukraine niederzulassen, weshalb die Beschwerdeführerin im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine weder in ihrem Recht auf Leben gefährdet, noch der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht sei.

Die Preise von Grundgütern seien insbesondere in den umkämpften Gebieten beträchtlich angestiegen und sei die Nahrungsmittelsicherheit in den Regionen sowie je nach Bevölkerungsgruppe unterschiedlich. Besonders Binnenvertriebene seien von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Die Beschwerdeführerin verfüge jedoch über ein soziales Netzwerk, das ihr bei einer Rückkehr in die Ukraine insbesondere finanzielle Unterstützung bieten könnte. Sie laufe daher auch nicht Gefahr, ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Wenngleich den aktuellen Länderinformationen zu entnehmen sei, dass es aufgrund von Angriffen auf Energie-Infrastruktur auch zu Stromabschaltungen und Problemen mit der Wasserversorgung kommen könne, sei die Beschwerdeführerin nicht in besonderem Ausmaß von derartigen Versorgungsproblemen betroffen. Kurzfristige Stromausfälle oder Probleme mit der Wasserversorgung würden die Beschwerdeführerin nicht mehr beeinträchtigen, als die übrige Bevölkerung und ergebe sich daraus kein Eingriff in Art. 2 oder 3 EMRK. Zudem sei die Tochter der Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin und berufstätig; diese könne die Beschwerdeführerin sohin ebenfalls finanziell unterstützen.

Die Beschwerdeführerin leide an einer psychischen Erkrankung. Den Länderberichten sei zudem zu entnehmen, dass die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems unter dem Einfluss des Krieges leide. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung sei vor allem durch hohe Kosten, zeitlichen Druck sowie begrenzte Transportmöglichkeiten behindert. Zudem würde aufgrund des Krieges auch die Anzahl der traumatherapie- und behandlungsbedürftigen Menschen steigen und die Versorgung mit Medikamenten erschwert sein. Ein erschwerter Zugang zu einer medizinischen Behandlung allein sei jedoch nicht ausreichend, um die Gefahr einer Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte herbeizuführen. Der Beschwerdeführerin stehe die Unterstützung der Tochter aus Österreich und der übrigen Familie offen, aus Österreich könnten auch allenfalls benötigte Medikamente übermittelt werden.

Eine Entwurzelung der Beschwerdeführerin von ihrem Herkunftsstaat liege nicht vor und sei die von der Beschwerdeführerin theoretisch frei wählbare Region der Niederlassung von Österreich auch problemlos – etwa durch regelmäßige Busverbindungen in die Westukraine und anschließend mit öffentlichen Verkehrsmitteln – erreichbar.

In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die allgemeine Situation in der Ukraine nicht derart gelagert sei, dass schon alleine die Rückkehr eines Asylwerbers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde. Aus den Länderfeststellungen hätten sich zudem keine Umstände ergeben, wonach in der Ukraine aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre.

Die Beschwerdeführerin sei im – wenn auch fortgeschrittenen – erwerbsfähigen Alter, sei arbeitsfähig und leide an keinen lebensgefährlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen. Sie habe im Herkunftsland zehn Jahr lang die Grundschule besucht, eine universitäre Ausbildung absolviert und anschließend Berufserfahrung gesammelt. Bei ihrer Rückkehr könnte die Beschwerdeführerin zumindest anfänglich von ihren in der Ukraine lebenden Angehörigen erhalten und auch von ihrer in Österreich lebenden Tochter unterstützt werden. Dafür, dass die Beschwerdeführerin in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Wenngleich die Gesundheitsversorgung in der Ukraine aktuell durch den Krieg mit der Russischen Föderation beeinträchtigt sei, sei nicht hervorgekommen, dass eine Behandlung der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sondern diese nur mit längeren Wartezeiten oder höheren Kosten verbunden wäre. Der Judikatur des EGMR folgend ist der Umstand, dass die Behandlungsmöglichkeiten im Zielland allenfalls schlechter sind als im Aufenthaltsland, und (allfällig) „erhebliche Kosten“ verursachen, nicht ausschlaggebend. Eine akute lebensbedrohende Krankheit der Beschwerdeführerin, welche eine Überstellung in die Ukraine gemäß der dargestellten Judikatur des EGMR unzulässig machen würde, liege im konkreten Fall jedenfalls nicht vor.

In zahlreichen Landesteilen der Ukraine liege keine allgemeine Lage vor, wonach praktisch jeder, der dorthin zurückkehre, einem realen und unmittelbar drohenden („real and Immanent“) Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sei. In weiten Landesteilen liege eben keine Situation vor, wonach schon die alleinige Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lasse. Besondere Gefahrenmomente seien nicht festzustellen. Es sei daher nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin in besonderem Maße von Gewaltakten und Folgen der Kriegshandlungen betroffen wäre. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation der Beschwerdeführerin sei in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass sie im Fall ihrer Abschiebung in die Ukraine in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung ihrer durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es würden keine exzeptionellen Gründe vorliegen, die einer Rückkehr in die Ukraine entgegenstehen würden. Ungeachtet der – für das Bundesverwaltungsgericht derzeit bloß entfernten –  Möglichkeit in der Herkunftsregion direkt oder indirekt von Kriegsfolgen betroffen zu sein, besteht für die Beschwerdeführerin nach der derzeitigen niedrigen Gefahrenlage in westlich gelegenen Landesteilen kein reales Risiko der Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte.

Subsidiärer Schutz sei daher nicht zu erteilen.

Bearbeitet von: Mag.ª Yasmin Ponesch


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