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Ist die Zeit für Abschiebungen nach Syrien gekommen? Besprechung der Entscheidung zu VwGH 25.6.2024, Ra 2024/18/0151

6. September 2024 in Beiträge
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Tags: Abschiebungen, Non-Refoulement, Sicherheitslage, subsidiärer Schutz, Syrien, Versorgungslage

Mag. René Zettl

Mag. René Zettl ist als rechtswissenschaftlicher Mitarbeiter am VwGH im Asyl- und Fremdenrecht tätig. Zuvor absolvierte er nach seiner Gerichtspraxis ein Verwaltungspraktikum am BVwG.


In den vergangenen Jahren wurde syrischen Schutzsuchenden in Österreich wegen des anhaltenden Bürgerkriegs zumindest subsidiärer Schutz gewährt. Jüngst ergingen jedoch vereinzelte Entscheidungen, in denen von dieser Linie abgegangen wurde.

Einer dieser Fälle beschäftigte kürzlich auch den Verwaltungsgerichtshof zur Zl. Ra 2024/18/0151: Dem Revisionswerber, einem knapp 60jährigen, vergleichsweise wohlhabenden Syrer aus Damaskus mit sozialem Netzwerk und einer Eigentumswohnung in der Heimat wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weder Asyl noch subsidiärer Schutz gewährt, es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen und seine Abschiebung nach Syrien für zulässig erklärt. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der Verwaltungsgerichtshof wies die dagegen erhobene Revision hinsichtlich des begehrten Status eines Asylberechtigten – mit näherer Begründung – als unzulässig zurück. Im Übrigen wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts aber wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Mehrere Aussagen in dieser aufhebenden Entscheidung sind nur eine Wiederholung der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung, die es allerdings wert sind, nochmals hervorgehoben zu werden: Die Klärung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfordert regelmäßig eine einzelfallbezogene Prüfung anhand des individuell konkreten Profils der asylwerbenden Person. Es sind aktuelle Länderberichte zur Lage im Herkunftsstaat zu berücksichtigen und es ist den Richtlinien des UNHCR und der EUAA Beachtung zu schenken.

Neue Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung von Länderrichtlinien der EUAA

In einem Erkenntnis erstmalig verweist der VwGH darauf, dass die Verpflichtung zur Berücksichtigung der einschlägigen Länderrichtlinien der EUAA seine Grundlage in der mittlerweile in Kraft getretenen VO (EU) 2021/2303 findet, welche in den Mitgliedstaaten der EU unmittelbar anwendbar ist. Ihr Art. 11 Abs. 3 sieht vor, dass die einschlägigen Länderrichtlinien der EUAA bei der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind. Es besteht zwar keine Bindung an die von der EUAA vorgenommene Einschätzung, aber eine Verpflichtung für die Asylbehörde und das Verwaltungsgericht, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Wird dies unterlassen, ist das Erkenntnis des BVwG mit einem Verfahrensfehler behaftet, der bei Relevanz zur Aufhebung der Entscheidung führen muss.

Zur Bedeutung der Länderfeststellungen und der Übernahme des LIB

Zentrale und über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat die Kritik des VwGH an der unreflektierten Aufnahme von Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat, denen in den weiteren Erwägungen keine Beachtung mehr geschenkt wird.

Aus der Entscheidung wird deutlich, dass die getroffenen Länderfeststellungen nicht bloß Wiedergabe des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation sind, sondern Sachverhaltsfeststellungen, die in die weiteren Erwägungen des Verwaltungsgerichts einfließen müssen. In den (Länder)Feststellungen sollten sich also nur jene Passagen und Quellen befinden, die tatsächlich für wahr gehalten werden. In der Beweiswürdigung wäre anschließend auszuführen, weshalb von ihrer Richtigkeit ausgegangen wird oder, falls einzelnen Länderberichten nicht gefolgt wird, weshalb sie für unrichtig angesehen werden.

Auf dieser Grundlage zitierte der VwGH eine Reihe von konkreten Länderfeststellungen in der angefochtenen Entscheidung, die ein kritisches Bild der Rückkehrsituation für syrische asylwerbende Personen zeichnen und in der Feststellung gipfelten, dass die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die Europäische Union selbst sowie der UNHCR bei ihrer Einschätzung blieben, dass Syrien insgesamt nicht sicher für eine Rückkehr von Flüchtlingen sei. Mit alledem hat sich das BVwG in seiner Entscheidung nicht beschäftigt. Es hat daher auch nicht dargelegt, warum im Falle des Revisionswerbers eine von den Einschätzungen des UNHCR abweichende Beurteilung der Gefahrenlage vorgenommen wurde. Auf einschlägige Länderberichte von EUAA wurde überhaupt nicht eingegangen. Diese von der Revision aufgezeigten relevanten Begründungsmängel konnten daher nur zur Aufhebung der Entscheidung des BVwG über den subsidiären Schutz und die darauf aufbauenden Spruchpunkte führen.

Subsidiärer Schutz für Personen aus Syrien – Ist die Zeit für Abschiebungen nach Syrien gekommen?

Auf die eingangs gestellte Frage zurückkommend, lässt sich mit dem VwGH folgern: Auf der Grundlage der getroffenen Länderfeststellungen, wie sie das BVwG dem aktuellen LIB entnommen und sie zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, kann ein reales Risiko insbesondere einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK auch für eine Person wie den Revisionswerber im entschiedenen Fall nicht verneint werden. Der VwGH hat damit jedoch keine abschließende Beurteilung der Lage in Syrien vorgenommen. Er hat aber zu verstehen gegeben, dass er den Länderfeststellungen in der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung Gewicht beimisst und nicht erlaubt, diese Länderfeststellungen wie auch den einschlägigen Richtlinien von UNHCR und EUAA in der einzelfallbezogenen Beurteilung zu übergehen und außer Acht zu lassen.

 

 


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