Recht und Wissenschaft in Österreich

VwGH 16.3.2022, Ro 2020/01/0023 (EU 2022/0001): Rechtfertigt die in einem Folgenantrag erstmals geltend gemachte Konversion noch Asyl?


Der VwGH legt dem EuGH europaweit strittige Rechtsfrage zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vor.

Der VwGH hat mit Beschluss vom 16.3.2022, Ro 2020/01/0023 (EU 2022/0001) dem EuGH eine Rechtsfrage zur Auslegung der Statusrichtlinie vorgelegt (dort protokolliert zu C-222/22), über deren Auslegung in den EU-Mitgliedsstaaten Unklarheit besteht (vgl. EUAA – Richterliche Analyse – Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes, 2018, S. 103 f).

Der Vorlagefrage liegt ein Folgeantragsverfahren eines iranischen Staatsangehörigen zu Grunde. Dieser begründete seinen zweiten Antrag damit, dass er in Österreich zum Christentum konvertiert sei, weswegen er im Iran verfolgt werde. Das BFA wies diesen Antrag in Bezug auf Asyl ab und stützte sich auf § 3 Abs 2 zweiter Satz AsylG 2005. Danach sei bei selbst herbeigeführten, subjektiven Nachfluchtgründen lediglich subsidiärer Schutz zuzuerkennen.

Das BVwG erkannte dem Mitbeteiligten den Status eines Asylberechtigten zu. Einem Antragsteller könne nur dann Asyl nach § 3 Abs 2 zweiter Satz AsylG 2005 verweigert werden, wenn die Nachfluchtgründe missbräuchlich herbeigeführt worden seien. Das sei hier aber nicht der Fall. Das BFA erhob dagegen eine Amtsrevision und brachte vor, das BVwG habe § 3 Abs 2 zweiter Satz AsylG 2005 falsch interpretiert. Die Bestimmung lege nämlich fest, dass „in der Regel“ kein Asyl zuzuerkennen sei. Die Ausnahme von dieser Regel seien in Österreich erlaubte Tätigkeiten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung seien.

Der VwGH erachtete Art 5 Abs 3 Statusrichtlinie als auslegungsbedürftig, auf dessen Grundlage § 3 Abs 2 zweiter Satz AsylG 2005 erging. Nach Art 5 Abs 3 der Statusrichtlinie könnten Mitgliedstaaten einen Antragsteller „in der Regel“ von Asyl ausschließen, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat. Dies gelte aber nur „unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention“. Nach Ansicht des VwGH sind die Wortfolgen „in der Regel“ und „unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention“ interpretationsbedürftig. „Unbeschadet“ habe im deutschen Sprachgebrauch verschiedene, teils konträre Bedeutungen. Die Wortfolge „in der Regel“ sei generell unbestimmt und ihre Bedeutung gehe weder aus dem Text der Richtlinie noch aus den Erwägungsgründen hervor.

Zwei Auslegungsmöglichkeiten des Art 5 Abs 3 Statusrichtlinie sind laut VwGH möglich. Nach der ersten Auslegungsmöglichkeit könne aus der Wortfolge „unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention“ abgeleitet werden, dass die GFK uneingeschränkt zu beachten sei. Da die GFK nicht zwischen Erst- und Folgeanträgen unterscheide, könne man Asylwerbern die subjektive Nachfluchtgründe gesetzt hätten, generell – unabhängig von einer Missbrauchsvermutung – nicht die Asylgewährung verweigern. Art 5 Abs 3 der Statusrichtlinie weise in diesem Sinne nur darauf hin, dass es für einen Folgeantragsteller besonders schwer sei, seine Glaubwürdigkeit nachzuweisen und könne somit als Beweislastregel verstanden werden. Diese Auslegung entspreche den Ansichten des UNHCR und Teilen des (internationalen) Schrifttums.

Die zweite Auslegungsmöglichkeit sei, dass Asylwerber ohne Rücksicht auf die GFK „in der Regel“ nicht als Flüchtling anerkannt werden, wenn sie subjektive Nachfluchtgründe setzen. Die Wortfolge „in der Regel“ ziele etwa nach Ansicht von EASO (nunmehr: EUAA) darauf ab, Missbrauch zu vermeiden. Mitgliedstaaten könnten demnach nationale Missbrauchsregeln einführen. Auch der Rat habe festgehalten, dass missbräuchlich geschaffene subjektive Nachfluchtgründe prinzipiell nicht zur Flüchtlingsanerkennung führen.

Der VwGH schloss sich der zweiten Auslegungsmöglichkeit an. Die erste ließe nämlich dem Art 5 Abs 3 Statusrichtlinie keinen Anwendungsbereich. Für die zweite Möglichkeit spreche auch, dass die GFK davon ausgehe, dass internationaler Schutz nicht mehr gewährt werden solle, wenn er (u.a.) nicht mehr gerechtfertigt sei. Dies sei auch dann der Fall, wenn eine Verfolgung missbräuchlich provoziert worden sei.

Im Sinne der zweiten Auslegungsmöglichkeit sei § 3 Abs 2 zweiter Satz AsylG 2005 unionsrechtskonform. Antragsteller würden im Regelfall kein Asyl erhalten, wenn sie subjektive Nachfluchtgründe setzen, weil die Bestimmung eine gesetzliche Missbrauchsvermutung enthalte. Ausnahmsweise wäre ihnen aber doch Asyl zu gewähren, und zwar erstens, wenn die Verfolgung auf in Österreich erlaubten Aktivitäten gründet, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind. Zweitens wäre Asyl zu gewähren, wenn der Folgeantragsteller die gesetzliche Missbrauchsvermutung wiederlegt.

Bearbeitet von: Mag. Thomas Binder


Twitter Facebook Linkedin Email Print Whatsapp Telegram

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert