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Dürfen Asylwerber:innen arbeiten? Eine Analyse des Arbeitsmarktzugangs seit Aufhebung des „Bartenstein-Erlasses“ durch den VfGH

12. Juni 2023 in Beiträge
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Tags: Arbeitsmarktzugang, Asyl, VfGH

Prisca Ebner, MA

Prisca Ebner ist Mitarbeiterin für Forschung bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im Landesbüro für Österreich. Sie ist im Rahmen des Nationalen Kontaktpunkts Österreich im Europäischen Migrationsnetzwerk (EMN) für Recherchen im Bereich Migration und Asyl zuständig.


Um arbeiten zu dürfen, brauchen AsyIwerber:innen eine Beschäftigungsbewilligung. Bis Juni 2021 wurde diese nur für Erntehilfe- und Saisonarbeit erteilt, seither ist die Erteilung rechtlich in allen Branchen möglich, sofern­ bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dennoch bleiben praktische Hürden und Limitierungen beim Arbeitsmarktzugang für Asylwerber:innen bestehen.

Hintergrund

Im Juni 2021 hob der Verfassungsgerichtshof (VfGH) zwei Erlässe auf, welche den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerber:innen deutlich eingeschränkt hatten. Einer dieser Erlässe, bekannt als „Bartenstein-Erlass“ von Mai 2004, hatte die Branchen für die Ausstellung von Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerber:innen auf Saisonarbeit und Erntehilfe beschränkt (insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei sowie Beherbergung und Gastronomie). Der andere Erlass, bekannt als „Hartinger-Klein Erlass“ von September 2018, hatte unter anderem den Zugang zur Lehre für Asylwerber:innen aufgehoben. Am 23. Juni 2021 entschied der VfGH, dass diese Erlässe als Verordnungen kundgemacht hätten werden müssen und hob daher beide Erlässe als gesetzwidrig auf. Daraufhin wies der damalige Bundesminister für Arbeit (BMA) das Arbeitsmarktservice (AMS) am 14. Juli 2021 an, bei allen Anträgen auf Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerber:innen weiterhin eine Arbeitsmarktprüfung durchzuführen.

Beschäftigungsbewilligung und Arbeitsmarktprüfung

Asylwerber:innen benötigen für die Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit eine Beschäftigungsbewilligung, die nur von Arbeitgeber:innenseite beantragt werden kann. Dafür ist bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS ein Antrag auf Beschäftigungsbewilligung für eine/n bestimmte/n Asylwerber:in zu stellen. Generell darf eine Beschäftigungsbewilligung erst drei Monate nach Zulassung zum Asylverfahren ausgestellt werden.

Die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung ist von einigen Voraussetzungen abhängig, die sowohl Arbeitgeber:in als auch Asylwerber:in betreffen. Seit Juni 2021 ist die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nicht länger auf bestimmte Branchen beschränkt. Doch es gibt die gesetzliche Vorgabe, vorrangig inländische und bereits am Arbeitsmarkt integrierte ausländische Arbeitskräfte in Beschäftigung zu bringen. Dazu wird eine Arbeitsmarktprüfung durchgeführt. Bei dieser wird geprüft, ob aus dem vorhandenen Potenzial der arbeitslos Vorgemerkten geeignete Ersatzarbeitskräfte für die entsprechende Stelle vermittelt werden können (sprich Österreicher:innen, EU- und EWR-Bürger:innen oder integrierte Drittstaatsangehörige). Das Vorgehen ist dabei in allen Branchen einheitlich und gilt auch für Lehrausbildungen.

Auswirkungen auf den Arbeitsmarktzugang

Das BMA ist der Ansicht, dass sich die Zulassung von Asylwerber:innen zum Arbeitsmarkt durch die vorgeschaltete Arbeitsmarktprüfung weiterhin stark in Grenzen halten wird. Bei Branchen mit schlechter Arbeitsmarktlage oder bei Tätigkeiten, die keine bestimmte Qualifikation erfordern, ist die Wahrscheinlichkeit der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung sehr gering. Hintergrund ist, dass mehr Personen mit niedriger Qualifikation am Arbeitsmarkt verfügbar sind, die als Ersatzarbeitskräfte gegenüber AsylwerberInnen Vorrang haben. Doch was lässt sich aus den Daten des AMS zu Beschäftigungsbewilligungen in der Praxis ableiten?

Insgesamt wurden im Zeitraum von 2017 bis 2022 12.158 Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerber:innen beantragt. Ein nicht unerheblicher Teil der Anträge wurde wieder zurückgezogen, noch bevor es zu einer Entscheidung gekommen ist. Wie in der untenstehenden Abbildung dargestellt, erging in 7.249 Fällen eine positive Entscheidung, was einer Bewilligungsrate von 73 Prozent entspricht. Seit Aufhebung des „Bartenstein-Erlasses“ im Juni 2021 ist die Anzahl der entschiedenen Anträge auf Beschäftigungsbewilligungen gestiegen. Dass es nicht zu einem noch größeren Anstieg der Anträge gekommen ist, lässt sich unter anderem mit dem Arbeitskräftepotential von Ukrainer:innen sowie Hürden und Limitierungen in der Praxis (siehe unten) erklären.

Interessant ist auch, dass seit der Aufhebung der Einschränkungen im Juni 2021 der Anteil der Beschäftigungsbewilligungen in der „Land- und Forstwirtschaft, Fischerei“ auf nur mehr vier Prozent im Jahr 2022 zurückgegangen ist (2017–2021: durchschnittlich 23 Prozent). In der Branche „Beherbergung und Gastronomie“ gab es hingegen einen Zuwachs auf 59 Prozent aller im Jahr 2022 erteilten Beschäftigungsbewilligungen (2017–2021: durchschnittlich 45 Prozent), was mitunter auch mit dem ausgeprägten Arbeitskräftemangel zusammenhängt. Gleichzeitig gab es im Jahr 2022 auch einen deutlichen Anstieg an erteilten Beschäftigungsbewilligungen in anderen zahlenmäßig relevanten Branchen, wie der Erbringung von sonstigen (wirtschaftlichen) Dienstleistungen, dem Handel, der Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen sowie der Herstellung von Waren (Details siehe EMN Österreich Studie).

Abbildung: Anzahl der Erteilungen, Ablehnungen und Zurückziehungen von Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerber:innen sowie Bewilligungsrate (2017–2022)

Quelle: Daten bereitgestellt vom Arbeitsmarktservice Österreich, 13. Jänner 2023.

Anmerkung: Die Bewilligungsrate ergibt sich aus dem Anteil der Erteilungen an der Gesamtzahl aller entschiedenen Anträge (also abzüglich der Zurückziehungen).

Zugang zu Lehrausbildungen

Mit der Aufhebung des Zugangs zur Lehre für Asylwerber:innen im Jahr 2019 ist insgesamt ein starker Rückgang der Anträge auf Beschäftigungsbewilligungen zu verzeichnen. Der Grund dafür ist unter anderem, dass der Anteil der Anträge auf Beschäftigungsbewilligungen für Lehrlinge, gemessen an allen (entschiedenen) Anträgen im Jahr 2018, noch 41 Prozent ausmachte und im Jahr 2019 auf zwei Prozent sank. Obwohl seit Juni 2021 die Aufnahme einer Lehrausbildung für Asylwerber:innen wieder möglich ist, zeichnet sich noch kein deutlicher Anstieg ab (zum Vergleich 2017: 694 erteilte Beschäftigungsbewilligungen für Lehrlinge; 2022: 46). Dies kann zum Teil mit der Sorge von Unternehmer:innen vor Abschiebungen von Asylwerber:innen während oder nach der Lehrausbildung erklärt werden. Für Lehrverhältnisse, die nach dem 27. Dezember 2019 begonnen wurden, gilt die Regelung zur „Hemmung der Frist für die freiwillige Ausreise zum Zweck des Abschlusses einer begonnenen Berufsausbildung“ (§ 55a Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005) nicht, sodass die Lehre im Falle einer Rückkehrentscheidung nicht abgeschlossen werden kann.

Hürden und Limitierungen in der Praxis

Rechts- und Planungsunsicherheiten bei der Einstellung von Asylwerber:innen sowie der Aufwand für eine Beschäftigungsbewilligung sind für Unternehmer:innen eine Hürde. Praktische Limitierungen beim Arbeitsmarktzugang, die im Rahmen der EMN Österreich Studie erhoben wurden, ergeben sich auch durch fehlende Sprachkenntnisse oder (anerkannte) Qualifikationen. Außerdem können sich Asylwerber:innen nicht als „arbeitssuchend“ beim AMS vormerken lassen (es sei denn, sie haben zuvor schon in Österreich gearbeitet). Zentral sind auch Herausforderungenfür Asylwerber:innen durch den Übergang von der Grundversorgung in den Arbeitsmarkt Denn bei Erwerbstätigkeit darf ein bestimmter Freibetrag nicht überschritten werden, andernfalls wird der Mehrbetrag mit der Grundversorgung gegengerechnet. Je nach Höhe des Einkommens entstehen Rückzahlungsforderungen oder Sperren der Grundversorgungsleistungen, zudem kann der Anspruch auf Unterbringung in einer organisierten Unterkunft wegfallen. Insbesondere zählen auch Informationsdefizite hinsichtlich Rechte und Beschäftigungsmöglichkeiten, sowohl bei Asylwerber:innen als auch bei Arbeitgeber:innen, zu den Herausforderungen. Die Knüpfung der Beschäftigungsbewilligung an den/die Arbeitgeber:in erhöht zudem die Vulnerabilität von Arbeitnehmer:innen. Folgen dieser Herausforderungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt können prekäre oder irreguläre Beschäftigungsverhältnisse von Asylwerber:innen sein.

Schlussfolgerungen

Zwar kann für Asylwerber:innen seit Juni 2021 prinzipiell in allen Branchen eine Beschäftigungsbewilligung erteilt werden, jedoch sind die Arbeitsmöglichkeiten für Asylwerber:innen in der Praxis weiterhin sehr eingeschränkt und bürokratisch komplex. Aus den Herausforderungen beim Arbeitsmarktzugang können sich auch negative Konsequenzen für Asylwerber:innen, etwa Rückzahlungsforderungen im Rahmen der Grundversorgung, irreguläre Beschäftigung oder Ausbeutung, ergeben. Dies kann auch längerfristig die erfolgreiche Arbeitsmarktintegration hindern. Insgesamt gilt, dass weiterhin nur ein Bruchteil der Asylwerber:innen in Österreich erwerbstätig ist. Die Branchen, in denen sie Arbeit finden, haben sich jedoch seit Aufhebung des Bartenstein-Erlasses im Juni 2021 zum Teil verändert.


 Hinweise:

Die Meinungen, Kommentare und Analysen, die in diesem Beitrag geäußert werden, sind die der Autorin und reflektieren nicht unbedingt die Position der Internationalen Organisation für Migration oder des Europäischen Migrationsnetzwerks, mit denen die Autorin verbunden ist.

Der Inhalt dieses Blogbeitrags basiert auf der EMN Österreich Studie „Zugang zum Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktintegration von AsylwerberInnen in Österreich“. Verfügbar auf https://www.emn.at/de/publikationen/studien/


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