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Gut Ding braucht Weile? Vom langen Weg zur Rechtskonformität des Arbeitsmarktzugangs von Asylwerber:innen

11. April 2022 in Beiträge
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Tags: Arbeitsmarktzugang, Erlass, Regionalrat

Dr. Johannes Peyrl

Dr. Johannes Peyrl ist Mitarbeiter der Arbeiterkammer Wien und Experte für österreichisches und europäisches Migrationsrecht.


Keine Einschränkung auf Saisonarbeit und Aufhebung des Zustimmungsrechts des „Regionalbeirates“: Durch zwei Erkenntnisse des VfGH (VfGH 23.6.2021, V95/2021 ua und VfGH 14.12.2021, G232/2021) ist der Arbeitsmarktzugang von Asylwerber:innen nunmehr etwas offener gestaltet – der VfGH hat eine 17-jährige Vollzugspraxis („Bartensteinerlass“) für rechtswidrig erklärt und das Zustimmungsrecht des Regionalbeirats aufgehoben. Trotzdem wird eine Beschäftigungsbewilligung für Asylwerber:innen eher Ausnahme als Regel bleiben.

Nach Art 17 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) haben geflüchtete Personen grundsätzlich Zugang zum Arbeitsmarkt, zumindest zum Teil sind davon auch Asylwerber:innen umfasst.  Allerdings hat Österreich einen Vorbehalt zu Art 17 GFK abgegeben, sodass diese Bestimmung für Österreich weitgehend nicht bindend ist. Es ist erstaunlich, aber Österreich war bereits vor über 70 Jahren bestrebt, seinen Arbeitsmarkt gegen Flüchtlinge abzuschotten.

 Pro Jahr stellen etwa 13.000 bis 17.000 Personen in Österreich einen Asylantrag (nur in den Jahren 2014-2017 sowie 2021 waren es deutlich mehr; zum Vergleich:  Im Jahr 2020 sind insgesamt ca 136.000 Personen nach Österreich zugewandert). Soweit diese im Erwerbsalter sind und physisch bzw psychisch dazu in der Lage sind, wollen die meisten dieser Personen auch in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachgehen.

Nach österreichischem Recht (§ 4 Abs 1 Z 1 AuslBG) besteht für Asylwerber:innen zwar in den ersten drei Monaten nach Zulassung des Verfahrens faktisch ein Arbeitsverbot, danach kann aber eine Beschäftigungsbewilligung erteilt werden. Das klingt gut – gäbe es nicht diverse faktische und rechtliche Hindernisse auf dem Weg zur Beschäftigungsbewilligung. Zwei davon hat der VfGH nun aus dem Weg geräumt (siehe gleich unten). Eine Beschäftigungsbewilligung ist per se eine für Arbeitnehmer:innen nachteilige Bewilligung, da sie von den Arbeitgeber:innen beantragt werden muss, auch diesen erteilt wird und auf einen bestimmten Arbeitsplatz in einem bestimmten Betrieb beschränkt ist. Jeder Arbeitgeber:innenwechsel bringt also mit sich, dass die neuen Arbeitgeber:innen wieder eine Beschäftigungsbewilligung beantragen müssen. Außerdem prüft das AMS bei jedem Antrag, ob für den konkreten Arbeitsplatz auch andere Personen zur Verfügung stehen, die ohne Notwendigkeit einer Beschäftigungsbewilligung arbeiten dürfen. Eine bessere Rechtsposition auf dem Arbeitsmarkt erwerben geflüchtete Personen erst mit Zuerkennung eines Status (Asylberechtige und subsidiär Schutzberechtigte haben freien Zugang zum Arbeitsmarkt).

Der „Bartensteinerlass“: Rechtswidrige Einschränkung des Arbeitsmarktzugangs

Im Jahr 2004 wurde in einen Erlass des damaligen Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit (der eigentlich das „EU-Erweiterungsanpassungsgesetz“ betraf) ein folgenschwerer Passus eingefügt: Aufgrund der Arbeitsmarktlage sollten Asylwerber:innen nur im Bereich Saisonarbeit (dh nur in bestimmten Kontingenten in Landwirtschaft und Tourismus) eine Beschäftigungsbewilligung erhalten. Der Erlass hat unter dem Namen „Bartensteinerlass“ traurige Berühmtheit erlangt. Eine Beschäftigungsbewilligung in anderen Branchen (oder auch zB im Tourismus, aber nicht als Saisonjob) sollte selbst dann nicht erteilt werden, wenn die Arbeitsmarktprüfung ergab, dass keine anderen Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Die Regelungen wurden zwar zunächst etwas erweitert (Möglichkeit einer Lehre für junge Asylwerber:innen in bestimmten Mangelberufen), diese Erweiterung wurde aber wieder zurückgenommen. Alle diese Regelungen wurden nur per Erlass (dh durch reine interne Anordnung an die Behörde) verfügt.

Dieser Erlass war von Anfang an rechtswidrig, an Hinweisen in der Literatur darauf mangelte es wahrlich nicht – vgl zB Brandt, Unselbständige Beschäftigung von Asylwerbern, migraLex, 2017, 78 und Peyrl, Zugang zum Arbeitsmarkt für geflüchtete Personen, in Schrattbauer/Pfeil/Mosler, Migration, Arbeitsmarkt und Sozialpolitik (2018), 101 – trotzdem war er 17 Jahre lang in Kraft und hat den Arbeitsmarktzugang von Asylwerber:innen faktisch verhindert.

Aufhebung des „Bartensteinerlasses“ und des Zustimmungsrechts des „Regionalbeirats“ durch den VfGH

Ab dem Jahr 2018 kam Bewegung in den gesamten Regelungskomplex: Zunächst hat das BVwG in mehreren Judikaten (ua BVwG 25. 6. 2018, W209 2184750-1/18E) ausgesprochen, dass jedenfalls in Fällen, in denen die Voraussetzungen des Art 15 der AufnahmeRL erfüllt sind (im Wesentlichen erstinstanzliche Verfahrensdauer von über 9 Monaten), der „Bartensteinerlass“ faktisch unangewendet zu bleiben hat (technisch gesehen: aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts kommen nur die Voraussetzungen des § 4 Abs 1 AuslBG, nicht aber jene des § 4 Abs 3 AuslBG zur Anwendung). Der VwGH hat daraufhin eine extrem einschränkende Interpretation des Art 15 AufnahmeRL vorgenommen, aber gleichzeitig betont, damit nicht über den „Bartensteinerlass“ zu entscheiden (VwGH 28.4.2020, Ro 2019/09/0011).

Im Sommer 2021 (also eben 17 Jahre nach Geltungsbeginn des Erlasses) hat der VfGH den „Bartensteinerlass“ aufgehoben (VfGH 23.6.2021, V95/2021 ua). Es passt ins Bild der 17-jährigen rechtswidrigen Anwendung, dass er deshalb aufgehoben wurde, weil es sich um eine nicht gehörig kundgemachte Verordnung handeln würde, die offenkundigen inhaltlichen Rechtswidrigkeiten wurden aber (aus rechtlichen Gründen) nicht untersucht. Letztlich ist das aber egal – angewendet darf der Erlass seit diesem Datum nicht mehr werden. Damit können nun Beschäftigungsbewilligungen ohne Einschränkung auf Saisonbranchen erteilt werden, auch zB zur Absolvierung einer Lehre.

Immer noch aber konnte jedes Mitglied des „Regionalbeirates“ (das ist ein Gremium im AMS, dem die weisungsgebundenen Leiter:innen der regionalen AMS-Geschäftsstellen und Arbeitnehmer:innen- sowie Arbeitgeber:innen-Vertreter:innen angehören) die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für Asylwerber:innen quasi im Alleingang verhindern, da dem Regionalbeirat in diesen Fällen ein Zustimmungsrecht zukommt. Ein bisschen (aber nur ein kleines bisschen) entschärft wurde diese faktische Macht, da nach der jüngeren Judikatur des VfGH das BVwG eine Schlüssigkeitsprüfung der Regionalbeiratsäußerung durchführen musste.

Ende Dezember 2021 hat der VfGH ein weiteres Erk zu § 4 AuslBG erlassen und die zwingende Zustimmung des Regionalbeirates bei Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerber:innen als verfassungswidrig aufgehoben (VfGH 14.12.2021, G232/2021). Der VfGH war richtigerweise der Ansicht, dass aufgrund der zwingenden Zustimmung des Regionalbeirates faktisch nicht das AMS als zuständige Behörde, sondern der Regionalbeirat über die Erteilung entscheiden konnte. Dieser Befund ist jedenfalls korrekt, da das AMS einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung zwar ohne Zustimmung des Regionalbeirates abweisen kann (zB weil Ersatzkräfte zur Verfügung stehen), aber nicht die Bewilligung erteilen kann.

Konkret wurde der gesamte § 4 Abs 3 AuslBG aufgehoben, da eine bloße Aufhebung des § 4 Abs 3 Z 1 AuslBG das Gegenteil bewirkt hätte, und eine Erteilung von Beschäftigungsbewilligungen für Asylwerber:innen faktisch unmöglich gemacht hätte. Die Regeln zur Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung sind problemlos auch ohne Anwendung des § 4 Abs 3 AuslBG vollziehbar, eine Lücke hinterlässt die ersatzlose Streichung nicht. Unverständlich ist daher die extrem lange Legisvakanz von über eineinhalb Jahren – die Aufhebung tritt erst mit 30.6.2023 in Kraft. Bis dahin ist diese als verfassungswidrig erkannte Bestimmung anzuwenden (anders wäre das nur dann, wenn der Gesetzgeber vor diesem Datum § 4 Abs 3 AuslBG aufheben oder novellieren würde).

Nach Inkrafttreten der Aufhebung können dann Beschäftigungsbewilligungen auch für Asylwerber:innen erteilt werden, wenn es dem AMS nicht gelingt, innerhalb von höchstens sechs Wochen (das ist die Höchstdauer eines Verfahrens zur Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung) geeignete Ersatzkräfte für den konkreten Job zu vermitteln. Durch die nach wie vor notwendige Arbeitsmarktprüfung ist nicht zu erwarten, dass extrem viele Beschäftigungsbewilligungen erteilt werden; aber es ist sichergestellt, dass dies zumindest möglich ist.

Es bleibt genug Raum für Verbesserungen

Wenn der Gesetzgeber aktiv würde und den ganzen Komplex des Arbeitsmarktzugangs für Asylwerber:innen neu regeln würde, brächte das die Chance mit sich, einige mE sinnvolle Neuerungen einzuführen:

– Möglichkeit eines „Spurwechsels“: Asylsuchende Personen könnten eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ bzw einen anderen Aufenthaltstitel erhalten, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen: Es ist kaum sinnvoll, qualifizierte Personen, die sich in Österreich befinden, (meist unfreiwillig) ziehen zu lassen, aber andere Drittstaatsangehörige anzuwerben, die ähnliche bis gleiche Qualifikationen aufweisen.

– Völlige Neuordnung der Regelung, die Asylwerber:innen ermöglicht, nach negativem Abschluss des Asylverfahrens eine Lehre beenden zu können: § 55a FPG ist eine inhaltlich und legistisch völlig verunglückte Regelung. Demnach können Asylwerber*innen, deren Asylverfahren während einer Lehre rechtskräftig negativ endet, zwar nicht abgeschoben werden, da die Frist zur freiwilligen Ausreise erst mit Abschluss der Lehre bzw absolvierter Lehrabschlussprüfung beginnt (wenn alle Formvorschriften erfüllt sind), sie bleiben aber unrechtmäßig in Österreich. Eine Möglichkeit, nach der Lehre in Österreich zu bleiben, ist nicht vorgesehen (faktisch möglich ist in vielen Fällen eine “Aufenthaltsberechtigung plus“ aus besonders berücksichtigungswürdigenden Gründen gem § 56 AsylG).

– Schließlich könnte der österreichische Vorbehalt zu Art 17 GFK (Regelung des Arbeitsmarktzuganges für Flüchtlinge) aufgehoben werden; die GFK ist bekanntlich die zentrale Grundlage des Flüchtlingsschutzes und sollte auch vollinhaltlich gelten.

Conclusio

Durch die beiden Erkenntnisse des VfGH ist der Arbeitsmarktzugang für Asylwerber:innen nun endlich rechtskonform geregelt. Das bedeutet aber nicht, dass zahlenmäßig viele Asylwerber:innen in Zukunft einer Beschäftigung nachgehen werden können: In vielen Fällen wird das AMS Ersatzkräfte vermitteln können und einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung aus diesem Grund abweisen. Trotzdem – ein 17-jähriges Ringen um Aufhebung eines rechtswidrigen Erlasses konnte nun gut abgeschlossen werden.


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