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Asyl für Söldner-Chef Jewgeni Prigoschin? Eine rechtliche Einordnung (Teil I)

27. Juli 2023 in Beiträge
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Tags: Asylausschlussgründe, Gruppe Wagner, Russland, Söldner, Ukraine

Mag. Moritz Hessenberger

Mag. Moritz Hessenberger ist aktuell als juristischer Mitarbeiter am Bundesverwaltungsgericht in der Kammer A sowie als Redaktionsmitglied von Blog Asyl tätig. Daneben dissertiert er im Bereich des Strafrechts an der Universität Wien.


Nach dem internen Machtkampf in Russland zwischen Präsident Putin und dem Chef der Söldner-Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, wurde in den Medien die Frage aufgegriffen, welche Folgen ein etwaiger Asylantrag von Prigoschin im Falle einer Einreise nach Österreich nach sich ziehen könnte. Dieser Beitrag soll eine rechtliche Einordnung vornehmen.

1. Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz

Einleitend ist festzuhalten, dass der Umstand, dass sich der Söldner-Chef auf der EU-Sanktionsliste befindet und somit nicht in die EU einreisen darf, ihn rechtlich gesehen noch nicht daran hindert, in Österreich einen Asylantrag zu stellen, sollte ihm dennoch die Einreise gelingen. Denn gem. § 17 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wenn ein Fremder in Österreich vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder einer Sicherheitsbehörde um Schutz vor Verfolgung ersucht. Weder das AsylG 2005 noch das FPG oder das BFA-VG enthalten Bestimmungen, die eine Antragstellung von Personen, die unrechtmäßig ins Bundesgebiet eingereist sind, ausschließen würde. Sollte Prigoschin also die Einreise nach Österreich gelingen, müsste sein Antrag, vorbehaltlich einer Unzuständigkeit Österreichs nach der Dublin-III-VO, jedenfalls inhaltlich behandelt werden.

2. Vorliegen eines Asylausschlussgrundes

Gem. § 6 Abs. 2 AsylG 2005 kann, wenn ein Ausschlussgrund nach § 6 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegt, der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. Dies ist dann der Fall, wenn und so lange ein Fremder Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genießt (Z 1), einer der in Art. 1 Abschnitt F GFK genannten Ausschlussgründe vorliegt (Z 2), aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt (Z 3), oder er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht (Z 4).

2.1. Die Bestimmung des § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 betrifft insbesondere Palästinenser, die bei UNRWA registriert sind (siehe dazu etwa VwGH 05.12.2022, Ra 2022/18/0179), und wäre im Falle von Prigoschin somit nicht anwendbar.

2.2. § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 2 der Statusrichtlinie (StatusRL) zu sehen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist bei der Beurteilung der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 2 StatusRL eine „individuelle Prüfung der genauen tatsächlichen Umstände“ erforderlich, aber auch „dass der betreffenden Person ein Teil der Verantwortung für Handlungen, die von der fraglichen Organisation im Zeitraum der Mitgliedschaft der Person in dieser Organisation begangen wurde, zugerechnet werden kann“ (vgl. EuGH 09.11.2010, C-57/09 und C-101/09, Bundesrepublik Deutschland/B und D; VwGH 21.04.2015, Ra 2014/01/0154).

Nach Art. 1 Abschnitt F GFK sind die Bestimmungen dieses Abkommens auf Personen nicht anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, und zwar im Sinne jener internationalen Einrichtungen, die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen gegen solche Verbrechen zu schaffen (lit. a), bevor sie als Flüchtlinge in das Gastland zugelassen wurden, ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen haben (lit. b) oder sich Handlungen schuldig gemacht haben, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten (lit. c).

2.2.1 Hinsichtlich der in lit. a angeführten Termini kann etwa auf das Statut für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945 („Londoner Charta“) oder das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes verwiesen werden. Nach Art. 6 lit. a der Londoner Charta ist unter einem „Verbrechen gegen den Frieden“ u.a. die Durchführung eines Angriffskrieges zu verstehen. Art. 6 lit. b definiert als „Kriegsverbrechen“ eine Verletzung der Kriegsgesetze oder Kriegsgebräuche, wobei etwa Morde an der Zivilbevölkerung oder die mutwillige Zerstörung von Städten umfasst sind. Schließlich sind Morde an der Zivilbevölkerung gem. Art. 6 lit. c auch als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ einzustufen. Im Falle von Prigoschin, dem Anführer der Gruppe Wagner, die am völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine maßgeblich beteiligt und nach Medienberichten auch in das Massaker von Butscha involviert gewesen ist, bestehen somit zumindest ernsthafte Gründe für den Verdacht, ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen bzw. angeordnet zu haben.

2.2.2. Bezüglich lit. b ist anzuführen, dass ein schweres Verbrechen, also etwa Mord oder Vergewaltigung, als nicht politisch anzusehen ist, wenn es überwiegend aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben begangen wird. Motivation, Kontext, Methoden und die Verhältnismäßigkeit eines Verbrechens zum angestrebten Ziel sind wichtige Faktoren bei der Beurteilung seines politischen Charakters. Zudem sollten die politischen Ziele eines Verbrechens, das als politisch motiviert gelten soll, im Einklang mit den menschenrechtlichen Grundsätzen stehen. Aufgrund der engen Verflechtung der Gruppe Wagner zum russischen Staat beinhalten die von Prigoschin begangenen bzw. angeordneten Verbrechen mE zwar eine gewisse politische Komponente, allerdings stehen die politischen Ziele seiner Taten wohl kaum im Einklang mit den menschenrechtlichen Grundsätzen, weshalb diese mE im Ergebnis als schwere, nichtpolitische Verbrechen im Sinne des lit. b einzustufen sind.

2.2.3. Lit. c wird in der Praxis nur selten angewendet, da in vielen Fällen meist ohnehin die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt F lit. a und b erfüllt sind. Eine Berufung auf lit. c kommt nur unter extremen Umständen im Fall von Handlungen vor, die einen Angriff auf die Grundlagen der Koexistenz der internationalen Staatengemeinschaft darstellen und eine internationale Dimension aufweisen, also etwa bei Verbrechen, die den Weltfrieden, die internationale Sicherheit und die friedlichen Beziehungen zwischen Staaten erschüttern könnten, sowie bei schweren, anhaltenden Verletzungen der Menschenrechte. Dabei können grundsätzlich nur Personen, die eine Machtposition in einem Staat oder einem staatenähnlichen Gebilde innehaben, in der Lage sein, derartige Taten zu verüben. Der seit mehr als einem Jahr andauernde völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine kann mE, insbesondere aufgrund der aus der Stellung Russlands als Atommacht resultierenden Gefahr für die internationale Sicherheit, zwar als ein solches den Weltfrieden bedrohendes Verbrechen eingestuft werden. Es erscheint mE jedoch fraglich, ob Prigoschin tatsächlich über eine derart hohe Machtposition verfügt, um die internationale Dimension dieses Konflikts in entscheidender Weise beeinflussen zu können.

2.3. Die Beurteilung, ob der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 darstellt, erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im jeweiligen Einzelfall eine Gefährdungsprognose, wie sie in ähnlicher Weise auch in anderen asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften zugrunde gelegt ist. Bei dieser Einzelfallprüfung ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und in Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Eine abschließende Beurteilung, ob Prigoschin diese Voraussetzungen erfüllt, ist a priori nicht möglich, sondern wäre von seinem Verhalten nach einer hypothetischen Einreise nach Österreich abhängig. So könnte er nämlich einerseits problemlos mit den Behörden kooperieren oder andererseits versuchen, gewaltsam russische Interessen in Österreich durchzusetzen.

2.4. § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 verlangt eine rechtskräftige Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens sowie eine vom Antragsteller ausgehende Gemeingefährlichkeit, wobei eine Verurteilung durch ein inländisches Gericht eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten ist, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht (siehe dazu etwa VwGH 26.02.2019, Ra 2018/18/0493). Dieser Umstand ist der entscheidende Unterschied zu § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, bei welchem lediglich ernsthafte Gründe für den Verdacht, eine der in Art. 1 Abschnitt F GFK normierten Taten begangen zu haben, ausreichend sind (siehe dazu etwa VwGH 04.04.2019, Ro 2018/01/0014). Da zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags keine Informationen dahingehend vorliegen, dass Prigoschin in Österreich oder einem anderen Staat rechtskräftig verurteilt wäre, erfüllt er die Bestimmung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 schon deshalb nicht.

3. Fazit

Zusammengefasst steht daher im Raum, dass Prigoschin zumindest den Asylausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erfüllt, weshalb sein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 6 Abs. 2 AsylG 2005 ohne weitere Prüfung abgewiesen werden könnte.

Dieser Umstand bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass auch seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig wäre, da etwa Art. 3 EMRK Vorrang gegenüber Art. 33 Z 2 GFK hat (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109). Dies wird in Teil II näher erörtert.


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