Nur vor Mullah geschlossene Ehe gilt
18. September 2023 in
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Tags: Ehe, Familienzusammenführung, OGH
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Österreichs Höchstrichter (OGH 4Ob85/23p) akzeptieren eine staatlich nie registrierte Heirat. Sie widerspreche selbst dem afghanischen Gesetz, gelte aber laut Taliban-Regeln. Da das Familienverfahren nach dem AsylG darauf abstellt, dass eine Ehe bereits vor der Einreise bestanden hat, kommt diesem Urteil potenziell auch für Asylverfahren im Inland sowie den Familiennachzug Relevanz zu. Philipp Aichinger berichtete in „Die Presse“ am 14.8.2023 darüber:
Es gibt Fälle, in denen österreichische Gerichte ausländisches Recht anwenden müssen. Etwa, wenn Migranten, die in ihrem Herkunftsland eine Ehe geschlossen haben, sich scheiden lassen.
Doch ein Afghane stand nun in Österreich vor einem besonderen Problem. Er will sich von seiner Frau, mit der er vier Kinder hat, scheiden lassen. Eine Heiratsurkunde konnte er nicht vorlegen. Er habe die Ehe aber vor einem Mullah, einem islamischen Religionsgelehrten, geschlossen.
Gern würde sich der Mann nach österreichischem Recht scheiden lassen. Er allein beantragte eine einvernehmliche Scheidung von seiner Frau. Schon die ersten zwei Instanzen befanden aber, dass man die Scheidung nach afghanischem Recht durchführen müsste. Aber liegt eine Ehe vor? Zwar seien Religionsgelehrte in Afghanistan befugt, die Trauung durchzuführen. Doch sei jede Ehe laut afghanischem Gesetz verpflichtend von den zuständigen Behörden zu registrieren. Da der Mann dies nicht gemacht habe, könne man ihn nicht scheiden, meinten die Unterinstanzen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) aber sieht das nun anders.
Das afghanische Zivilgesetzbuch trat 1977 in Kraft, als Afghanistan Republik war. Es überdauerte die Taliban-Herrschaft von 1992 bis 2001 und blieb auch nach der nunmehr erneuten Machtübernahme der Taliban formal in Geltung. Doch man müsse sich die Praxis anschauen, meinte der OGH mit Blick auf Experteneinschätzungen. „Große Teile der Bevölkerung sind nicht bereit, Behörden durch die Registrierung von Ehen in vermeintlich rein private und zum Teil ungesetzliche Praktiken wie Kinder-, Zwangs-, Austauschehen und Ehen zur Schuldentilgung Einblick nehmen zu lassen.“ Nur fünf Prozent aller Ehen in Afghanistan seien registriert. „Insbesondere das Eherecht basiert aber neben dem kodifizierten Recht auf Bestimmungen des islamischen Rechts und dem örtlichen Gewohnheitsrecht.“
Unterinstanz soll Frau befragen
Das afghanische Gesetz zur Eheregistrierung sei „praktisch totes Recht“, meinte der OGH (4 Ob 85/23p). Und der Mann weise zu Recht darauf hin, dass seit der neuen Machtübernahme der Taliban nur von einem Mullah getraute Paare als verheiratet angesehen werden. Der Mann könne daher seine Ehe jetzt in Afghanistan gar nicht mehr nachträglich registrieren lassen, weswegen man ihm hierzulande die Scheidung nicht wegen der fehlenden staatlichen Beurkundung allein verwehren dürfe.
Der Fall geht daher zurück an die unterste Instanz: Sie soll nun einmal die Frau fragen, ob sie sich als verheiratet betrachtet.
UNHCR/Edris Lutfi
1. Mai 2023 von Sebastian Braumüller in Beiträge
Seit der Machtübernahme durch die Taliban hat sich insbesondere die Situation für Frauen in Afghanistan stetig verschlechtert. So wurden seit Juli 2021 sowohl der Zugang zu Bildung und Arbeit als auch die Möglichkeit freier Bewegung und freier Meinungsäußerung stark beschränkt. Alltägliche Gewalt gegen Frauen, Morde und Vergewaltigungen bleiben ohne Konsequenzen.
Diese Missachtung von grundlegenden Menschenrechten wirft die Frage auf, ob Frauen in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bzw. im Sinne des Art. 9, insbesondere des Art. 9 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2011/95/EU, weiterführend auch als StatusRL bezeichnet, ausgesetzt sind.
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29. Oktober 2021 von Dr. Norbert Kittenberger, B.A. in Beiträge
Internationaler Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender nach der Machtübernahme der Taliban
Die Lage in Afghanistan hat sich nach der Eroberung durch die Taliban drastisch verändert. Sicherheits- und Versorgungslage sind schlecht, Details bleiben aber im Dunkeln. Nichtsdestotrotz müssen Behörden und Gerichte entscheiden – dabei zeigt sich die Notwendigkeit eines prognostischen Ansatzes.
6. September 2021 von DDr. Philip Czech in Beiträge
Wartefrist für die Familienzusammenführung zu subsidiär Schutzberechtigten verstößt gegen die EMRK
Im Juli hat der EGMR in seinem Urteil M. A. vs. Dänemark eine dreijährige Wartefrist für den Familiennachzug zu Bürgerkriegsflüchtlingen für konventionswidrig erklärt. Damit ist klar, dass die vergleichbare Regelung in § 35 Abs 2 AsylG vom Gesetzgeber novelliert werden muss. Dieser Beitrag rekapituliert die Eckpunkte des Urteils und erläutert seine Folgen für den Gesetzgeber und die Praxis.