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Das BBU-Erkenntnis des VfGH – Interpretationen und Implikationen

13. Februar 2024 in Beiträge
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Tags: BBU, Rechtsberatung, VfGH

Dr. Adel-Naim Reyhani

Dr. Adel-Naim Reyhani ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte und an der Universität Bologna, wo er zum internationalen Flüchtlingsrecht forscht.


Der durch die BBU GmbH vollzogene Paradigmenwechsel in der Organisation der österreichischen Asylrechtsberatung stand aufgrund des entscheidenden Einflusses des BMI auf selbe seit deren Etablierung unter Kritik. Vor diesem Hintergrund wurden durch einen Rahmenvertrag Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit vereinbart. Mit Erkenntnis vom 14. Dezember 2023 (G 328/2022) hob der VfGH die gesetzliche Grundlage der BBU-Rechtsberatung dennoch aufgrund eines Konflikts mit Art. 47 GRC auf. Vertragliche Regelungen seien nicht ausreichend – es bedürfe vielmehr einer gesetzlichen Absicherung und Konkretisierung, so der VfGH. Mit diesem Beitrag sollen die wesentlichen Aussagen dieser Entscheidung interpretiert und mögliche Implikationen herausgearbeitet werden.1

  1. Charakterisierung der Rechtsberatung

Der VfGH fundiert sein Erkenntnis in einer Charakterisierung der gesamten Rechtsberatung als einheitlichem Komplementärmechanismus zur Verfahrenshilfe. Dabei betont er die Einbettung auch der Beratungstätigkeit vor dem BFA in ein Gesamtsystem, das vordergründig dem Interesse der Wahrnehmung und Durchsetzung von Rechten von Asylsuchenden dient. Die reformierte Rechtslage sollte diese Einordnung unmissverständlich vermitteln.

Ebendieser Komplementärmechanismus bedarf laut VfGH einer Organisation, die über ausreichend qualifizierte Rechtsberater*innen verfügt und unabhängig und weisungsfrei ist, insbesondere gegenüber dem BMI. So spricht der VfGH erstmals aus, was aufgrund grund- und menschenrechtlicher Vorgaben bereits angelegt war.

  1. Anforderungen an Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit

Die Kernaussage des Judikats ist, dass aktuell Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit bloß abstrakt gesetzlich festgehalten werden. Neben der Vorgabe, dass die BMJ die Bereichsleitung Rechtsberatung zu bestellen hat, identifiziert der VfGH konkretere Inhalte ausschließlich in der bisher vertraglichen Regelung der „Detailvereinbarung Rechtsberatung“.

Deutlicher zu den spezifischen Erfordernissen einer gesetzlichen Regelungen, die eine unabhängige und weisungsfreie Rechtsberatung sicherstellen kann, äußert sich der VfGH sodann durch die Nennung folgender relevanter Bereiche: die Stellung der Rechtsberater*innen innerhalb der BBU GmbH (einschließlich Fragen der Dienst- und Fachaufsicht); das Aufgabenfeld der Rechtsberater*innen (einschließlich Fragen der Zuweisung und allfälligen Abnahme von Beratungs- und Vertretungsfällen); eine die Unabhängigkeit sichernde Ausgestaltung des Dienstverhältnisses sowie einen besonderen Entlassungs- und Kündigungsschutz.

Derart stützt der VfGH die Annahme, dass eine Sicherung der Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit vor allem in der organisatorisch-institutionellen Autonomie der Rechtsberatung sowie der Stärkung der außerordentlichen Position der Rechtsberater*innen innerhalb einer weisungsgebundenen Gesamtorganisation liegt. Somit stimmt er in der Grundausrichtung sowohl mit sekundärem Unionsrecht sowie mit Positionen des EuGH und EGMR überein. Außen vor bleibt jedoch die in der EGMR-Judikatur vorherrschende Betonung des Anscheins, insbesondere was das Prinzip der Waffengleichheit betrifft.

Während die Detailvereinbarung die vom VfGH hervorgestrichenen Bereiche bereits weitgehend abdeckt, ergibt ein Vergleich mit der Verfahrenshilfe betreffend die Abnahme von Beratungs- und Vertretungsfällen einen Adaptierungsbedarf an § 45 Abs. 4 RAO im Hinblick auf mögliche Befangenheiten und deren Anzeige durch Asylsuchende selbst. Dies wäre auch vor dem Hintergrund der Judikatur des EGMR berücksichtigenswert, wonach die Wünsche der Betroffenen bei der Verfahrenshilfe in der Regel zu berücksichtigen sind.

Darüber hinaus liefert die vom VfGH gewählte Argumentationslinie implizit Anhaltspunkte für weiteren Reformbedarf. So öffnet insbesondere die Charakterisierung als Komplementärmechanismus den Raum für eine Anpassung an sonstige Standards und Absicherungen der Verfahrenshilfe.

Beispielsweise wäre angezeigt, eine umfassende und prinzipiell absolute Verschwiegenheitspflicht solcherart gesetzlich zu etablieren, sodass deutlich wird, dass gesellschaftsrechtliche Informationsbefugnisse zurückweichen, dass Ausnahmen ausschließlich im Interesse der Asylsuchenden zulässig sind, dass nicht nur Rechtsberater*innen selbst, sondern beispielsweise auch Aufsichtsorgane und Hilfskräfte umfasst sind, sowie, dass Entschlagungsrechte zur Anwendung kommen können.

Daneben könnte die vom VfGH vorgenommene Betonung der Notwendigkeit der Unabhängigkeit insbesondere gegenüber dem BMI als Hinweis auf eine Stärkung der Rolle der BMJ oder auch anderer (neutralerer) Akteure verstanden werden. Zur Frage der Finanzierung der Rechtsberatungsorganisation äußert sich der VfGH indirekt, indem er hervorhebt, dass sie über ausreichend qualifizierte Rechtsberater*innen verfügen muss.

In Verbindung unter anderem mit seiner Forderung einer autonomeren Rechtsberatung bietet dies Anlass für eine gesetzliche Regelung, die eine ausreichende und nach klaren Kriterien zu bestimmende Finanzierung unabhängig von politischen Präferenzen oder den Interessen der Asylverwaltung sicherstellt und die Befugnisse und Mitsprache der Rechtsberatung entsprechend ausweitet.

  1. Sonstige verfassungsrechtliche Schranken

Der VfGH schließt eine Qualifikation der Rechtsberatung als staatliche Verwaltung im Sinne des Art. 20 B-VG aus und stellt somit eine Verletzung desselben nicht fest. Dennoch verweist er auf mögliche Legitimationsanforderungen oder Schranken organisatorischer Natur an privatwirtschaftliche Aufgabenübertragung, die sich aus anderen Verfassungsbestimmungen ergeben können. Insbesondere nennt er dabei das Demokratieprinzip und das Verwaltungsorganisationskonzept.

Somit erscheint einerseits der Spielraum für eine von der Verwaltung losgelöste Gestaltung der Rechtsberatung kleiner. Andererseits wird deutlich, dass selbst im Falle einer Gesetzesreform bei Beibehaltung der aktuellen organisatorischen Integration das Spannungsverhältnis zwischen Art. 47 GRC und den potenziellen Anforderungen hinsichtlich der Verbindung zu vom Volk legitimierten Instanzen und dem Gesamtgefüge der Verwaltungsorganisation erhalten bleiben könnte. Durch eine Stärkung der Aufsichtsrolle der BMJ oder der Einbeziehung anderer (staatlicher) Akteure könnte dieses teilweise aufgelöst werden.

  1. Ausblick

Die Praxis und Interpretation der Behörden und Gerichte bis zur Anwendbarkeit der reformierten Rechtslage wird unter anderem die Frage behandeln, inwieweit in sonst von der BBU vertretenen Fällen potenziell Anspruch auf Verfahrenshilfe besteht. Mangels eindeutig einschlägiger höchstgerichtlicher Judikatur kann hier einerseits argumentiert werden, dass der VfGH das bestehende Arrangement als vorübergehend validen Komplementärmechanismus ansieht. Andererseits ist zutreffend, dass dem hier relevanten Unionsrecht Vorrang zukommt und Art. 47 GRC auch als unmittelbare Grundlage für einen Verfahrenshilfeanspruch im Einzelfall und nach bestimmten Kriterien dienen kann. Dass der VfGH selbst derzeit keine Verfahrenshilfe in entsprechenden Fällen zu gewähren scheint, gibt jedoch den Ausschlag für diese Annahme. Ein absoluter Ausschluss von Verfahrenshilfe, unabhängig von den Umständen des Einzelfalles und den konkret zu befürchtenden Auswirkungen einer Verweigerung, kann dadurch jedoch nicht begründet werden.

Darüber hinaus sind auch unionsrechtliche Entwicklungen im Auge zu behalten, insbesondere die durch die wohl bevorstehende Reform des Verfahrensrechts herbeigeführte Herabsetzung von Rechtsberatungsstandards. Dabei gilt es nicht nur die unmittelbare Wirkung auf die österreichische Rechtslage zu berücksichtigen, sondern vor allem auch potenzielle Konflikte des (reformierten) Unionsrechts mit vom VfGH bestätigten und darüber hinausreichenden grund- und menschenrechtlichen Erfordernissen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wäre es überlegenswert, bei den vom VfGH betonten Kernpunkten Regelungen im Verfassungsrang anzustreben.


1 Verfasst auf Basis einer im Auftrag der Caritas Österreich erstellten Analyse. Dieser Beitrag wurde finanziert durch den ERC-2022-STG Gatekeepers to International Refugee Law? – The Role of Courts in Shaping Access to Asylum (ACCESS), Grant No. 101078683


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