Recht und Wissenschaft in Österreich

VfGH: Asylrelevanz der Militärdienstverweigerung eines russischen Militärarztes


Der VfGH hat sich zuletzt wiederholt mit Fragen der Wehrdienstverweigerung beschäftigt, insb. in Zusammenhang mit dem Herkunftsstaat Syrien. Aus Anlass der Beschwerde eines russischen Staatsangehörigen mit besonderem Risikoprofil hat sich der VfGH in der Entscheidung E 3529/2023 ua. erstmals mit der Asylrelevanz der drohenden Einberufung in die Streitkräfte der Russischen Föderation und der daran anknüpfenden Gefahr eines Einsatzes im Krieg in der Ukraine auseinandergesetzt.

Der Beschwerdeführer wurde in einer medizinischen Militärakademie zum Facharzt für Anästhesie ausgebildet, war als Vertragssoldat tätig und wird nunmehr als Reservist im Militärregister geführt. Der Beschwerdeführer reiste (gemeinsam mit seiner minderjährigen Tochter) am 21. Februar 2022 – und damit noch vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine – mit einem österreichischen Visum zu Urlaubszwecken nach Spanien aus. Auf der Rückreise stellte der Beschwerdeführer am 28. Februar 2022 – vier Tage nach Kriegsausbruch – einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgründe führte er die Angst vor einer Einberufung zum Einsatz in der Ukraine sowie die Gegnerschaft zum aktuellen russischen Regime ins Treffen.

Das BVwG wies die Beschwerde gegen den – vollinhaltlich negativen – Bescheid des BFA ab. Begründend führt das BVwG im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe weder einen Einberufungsbefehl erhalten noch eine grundlegend ablehnende Haltung gegenüber den Streitkräften der Russischen Föderation verinnerlicht. Der Beschwerdeführer stehe sein gesamtes Leben mit den Streitkräften in Verbindung und habe die berufliche Laufbahn in Fortsetzung einer Familientradition (Vater und Großvater waren ebenfalls für das russische Militär tätig) selbst gewählt, weshalb auf ihn „ein anderer Maßstab“ anzuwenden sei. Zudem sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle der Einberufung auf Grund seiner Ausbildung „wohl nicht an vorderster Front dienen müsste“.

Wahrscheinlichkeit der Einberufung

Der VfGH führt zunächst aus, dass sich das BVwG nicht näher mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob dem Beschwerdeführer vor dem Hintergrund seiner individuellen Situation als Arzt mit spezieller Ausbildung im militärischen Bereich im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Einberufung zu den Streitkräften der Russischen Föderation droht. Nach Ansicht des VfGH ließ das BVwG eine (vom Beschwerdeführer ins Verfahren eingebrachte) ACCORD-Anfragebeantwortung zur Lage von Angehörigen medizinischer Berufe im Zusammenhang mit der Mobilmachung unberücksichtigt, nach der der Beschwerdeführer in mehrfacher Weise ein Risikoprofil erfüllt und daher voraussichtlich rekrutiert werden wird.

Asylrelevanz der Militärdienstverweigerung

In weiterer Folge geht der VfGH – anknüpfend an die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Shepherd und EZ sowie an die jüngste, zu Syrien ergangene höchstgerichtliche Judikatur – auf die Asylrelevanz einer Wehrdienstverweigerung in der Russischen Föderation ein. In Bezug auf den Krieg in der Ukraine geht der Gerichtshof gestützt auf aktuelle Länderberichte von einer hohen Wahrscheinlichkeit aus, als Mitglied der russischen Streitkräfte (unmittelbar oder mittelbar) an der Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt zu werden (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie). Vor diesem Hintergrund trägt der VfGH dem BVwG auf, im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zu den Auswirkungen der Einberufung des Beschwerdeführers zum Militärdienst bei den Streitkräften der Russischen Föderation zu treffen.

Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund

In einem letzten Schritt geht der VfGH auf das Bestehen einer Verknüpfung zwischen der drohenden Verfolgungshandlung und einem der in der GFK genannten Verfolgungsgründe ein. Die Begründung des BVwG, die ablehnende Haltung zum Krieg in der Ukraine sei schon deshalb unglaubwürdig, weil der Beschwerdeführer bereits sein gesamtes Leben mit den Streitkräften in Verbindung stehe, erweist sich aus Sicht des VfGH als nicht tragfähig. Der VfGH anerkennt in weiterer Folge im Ergebnis, dass sich die ablehnende Haltung nicht gegen jede militärische Handlung richten muss, sondern sich die Ablehnung auch gegen eine konkrete kriegerische Auseinandersetzung – hier: den Krieg in der Ukraine – richten kann. Die Glaubwürdigkeit des Vorbringens ist nach Ansicht des VfGH insoweit in einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände zu ermitteln.

Bearbeitet von: Dr. Johannes Schön


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Kommentare

One thought on "VfGH: Asylrelevanz der Militärdienstverweigerung eines russischen Militärarztes"

  1. Karo sagt:

    Ich verstehe den Unterschied zur strengen Syrien Judikatur nicht. Kriegsverbrechen und Ablehnung des Krieges gibt’s dort auch und bei Syrien wird der GFK Konnex regelmäßig verneint…

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