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Erkundungsreisen und freiwillige Unterschutzstellung: Möglichkeiten und Risiken angesichts der aktuellen Lage in Syrien

21. Mai 2025 in Beiträge
1 Kommentare

Tags: Asyl, Erkundungsreisen, Go and See - Visits, subsidiärer Schutz, Syrien, Unterschutzstellung

Mag. Jakob Fux, BA

Mag. Jakob Fux, BA studierte Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen (Schweiz) und Rechtswissenschaften an der Universität Wien. Seit 2021 ist er Universitätsassistent in der Abteilung von Univ.-Prof. Harald Eberhard, zuerst am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht (IOER) der Wirtschaftsuniversität Wien und seit November 2023 am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien. Daneben ist er seit 2015 als Rechtsberater beim Verein Deserteurs- und Flüchtlingsberatung tätig.


Nach dem Sturz von Langzeit-Machthaber Bashar al-Assad in Syrien wurde auch in Österreich über Erkundungsreisen syrischer Schutzberechtigter in ihr Herkunftsland diskutiert. Rechtlich zeigt sich, dass subsidiärer Schutz bei derartigen Reisen nicht aberkannt werden kann, im Falle von Asylberechtigten dann, wenn die Reise freiwillig stattfindet, effektiver staatlicher Schutz vorhanden und überdies eine Unterschutzstellungsabsicht sowie ein Normalisierungswille vorhanden ist.

Die obersten Organe der österreichischen Verwaltung ließen nicht lange mit populistischen Wortmeldungen auf sich warten, als im Dezember 2024 Bashar al-Assad in Syrien gestürzt wurde. Medienwirksam „beauftragte“ der damalige Bundeskanzler Karl Nehammer Innenminister Gerhard Karner mit einer Reihe von Maßnahmen: Schutzgewährungen sollen überprüft und Familienzusammenführungsanträge syrischer Staatsangehöriger sowie laufende Asylverfahren ausgesetzt werden. Gleichzeitig kündigte letzterer ein „geordnetes Rückführungs- und Abschiebungsprogramm“ an, ohne auch nur ansatzweise abschätzen zu können, wie sich die volatile Lage in Syrien in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln würde.

Ausgehend von einer in Deutschland geführten Diskussion folgte sodann auch in Österreich eine Debatte über die Frage der Anwendung des Aberkennungstatbestandes der freiwilligen Unterschutzstellung gem Art 1 Abschnitt C Z 1 GFK bei Reisen syrischer Staatsangehöriger in ihr Herkunftsland. Welche Folgen können also Erkundungsreisen nach Syrien bzw sogenannte „go and see – visits“ für syrische Schutzberechtigte nach der österreichischen Rechtslage haben, welche aufenthaltsrechtlichen Risiken bestehen?

Erkundungsreisen und subsidiärer Schutz

Fraglich ist also mit anderen Worten, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Reise von Schutzberechtigten in das Land, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, zu einer Aberkennung des Schutzstatus führen kann. Dabei ist zwischen zwei Gruppen zu unterscheiden, Asylberechtigten auf der einen und subsidiär Schutzberechtigten auf der anderen Seite. Während ersteren der Status abzuerkennen ist, wenn einer der Endigungsgründe der GFK eingetreten ist (§ 7 Abs 1 Z 2 AsylG), existiert eine gleichlautende Rechtsgrundlage für subsidiär Schutzberechtigte (siehe dazu § 9 Abs 1 AsylG) nicht. Eine Aberkennung des subsidiären Schutzstatus auf Basis der Endigungsgründe der GFK kommt daher nicht in Frage. Die Aberkennung des subsidiären Schutzes auf Basis einer als freiwillige Unterschutzstellung begriffenen Reise in das Herkunftsland (Art 1 Abschnitt C Z 1 GFK) scheidet daher von vornherein aus.

Dies heißt jedoch nicht, dass das BFA mit Sicherheit untätig bleiben wird, wenn es von einer derartigen Reisebewegung Kenntnis erlangt. Ganz im Gegenteil: Das BFA könnte die Reisebewegung zum Anlass einer Prüfung nach § 9 Abs 1 Z 1 AsylG nehmen, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des:der subsidiär Schutzberechtigten nicht oder nicht mehr vorliegen. Zwar bestehen aktuell die Voraussetzungen für eine derartige Aberkennung nicht, weil sich die Lage nach wie vor volatil gestaltet und daher noch nicht von einer maßgeblichen und stabilen Verbesserung ausgegangen werden kann. Dies hindert das BFA jedoch nicht daran, derartige Verfahren einzuleiten, sobald das BFA im Familienzusammenführungsverfahren von der zuständigen Vertretungsbehörde zur Stellungnahme gem § 35 Abs 4 AsylG aufgefordert wird, wie sich in der Praxis derzeit zeigt. Angesichts dessen, dass bereits die Einleitung von Aberkennungsverfahren mit verschiedenen negativen Folgen in asyl-, staatsbürger:innenschafts- und familienzusammenführungsrechtlicher Hinsicht verbunden ist, bringt eine Erkundungsreise auch für subsidiär Schutzberechtigte daher gewisse (aufenthalts-)rechtliche Risiken mit sich, die es zu berücksichtigen gilt.

Das erhöhte Risiko der Einleitung eines Aberkennungsverfahrens für den Fall der Kenntniserlangung der Reise durch das BFA liegt indes darin begründet, dass die Behörde wie auch das deutsche BAMF nicht über die Kapazitäten verfügt, alle Statuszuerkennungen syrischer Staatsangehöriger von sich aus einer Überprüfung zu unterziehen. Eine Erkundungsreise kann in dieser Hinsicht bedeuten, dass das BFA die Reise zum Anlass nimmt, ein Aberkennungsverfahren einzuleiten – die Einleitung von Aberkennungsverfahren also dann vornimmt, wenn der Akt sprichwörtlich auf dem Tisch landet. Die Wahrscheinlichkeit einer derartigen Verfahrenseinleitung nimmt daher, gesetzt den Fall, dass das BFA von der Reise erfährt, zu, wenngleich die Aberkennung nicht allein wegen der Reisebewegung in den Herkunftsstaat erfolgen, sondern nur den Anlass für eine Einleitung eines Aberkennungsverfahrens darstellen kann.

Asylaberkennung aufgrund von Erkundungsreisen in das Herkunftsland

Im Unterschied zum Status des:der subsidiär Schutzberechtigten gibt es bei Asylberechtigten zwei einschlägige Aberkennungstatbestände, die Reisen in das Herkunftsland theoretisch erfassen. Die Anwendung des § 7 Abs 1 Z 2 AsylG iVm Art 1 Abschnitt C Z 4 GFK scheidet jedoch bei Erkundungsreisen, die ihrem Wesen nach temporär sind, von vornherein aus, weil es dazu eine tatsächliche dauerhafte Niederlassung im Herkunftsstaat bräuchte, die bei Erkundungsreisen nicht gegeben ist. Darüber hinaus ist nach § 7 Abs 1 Z 2 AsylG iVm Art 1 Abschnitt C Z 1 GFK der Status des:der Asylberechtigten abzuerkennen, wenn sich die asylberechtigte Person freiwillig wieder unter den Schutz ihres Herkunftslandes gestellt hat. Mehrere Fallkonstellationen sind bei der Anwendung dieses Aberkennungstatbestandes relevant – neben der Ausstellung oder Verlängerung von Reisepässen kommen auch andere Kontakte zu herkunftsstaatlichen Behörden generell in Betracht, ebenso Reisebewegungen in den Herkunftsstaat, wie beispielsweise Erkundungsreisen.

Bei all diesen Fallkonstellationen der freiwilligen Unterschutzstellung, so auch bei Erkundungsreisen, müssen drei wesentliche Elemente kumulativ vorliegen, damit der Status des:der Asylberechtigten aberkannt werden darf: Zunächst muss effektiver staatlicher Schutz vorliegen, der (wieder) in Anspruch genommen wird. Im Anschluss ist zu prüfen, ob die betroffene Person freiwillig gehandelt hat. Abschließend müssen auch eine Unterschutzstellungsabsicht und ein Wille zur Normalisierung der Beziehungen zum Herkunftsstaat zwingend vorliegen.

Ist eine asylberechtigte Person aus Syrien zur Erkundung der derzeit vorherrschenden Verhältnisse nach Syrien gereist, reicht lediglich die Präsenz in Syrien jedenfalls nicht zur Aberkennung des Status auf Basis einer Unterschutzstellung. Nach der Rechtsprechung sind ua die Anzahl der Reisen und ihre Dauer in Betracht zu ziehen. Darüber hinaus muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob effektiver staatlicher Schutz vor asylrelevanter Verfolgung in Syrien vorhanden ist. Angesichts der immer noch sehr volatilen Lage in Syrien ist das Vorliegen eines effektiven staatlichen Schutzes derzeit zu verneinen. Auch würde eine lediglich einmalige, kurz andauernde Reise zum Zweck der Erkundung für eine Aberkennung nicht ausreichen – was jedoch wiederum keine Garantie dafür darstellt, dass das BFA jedenfalls untätig bleiben wird, wenn es von der Reise erfährt.

In Hinblick auf die Voraussetzung der Freiwilligkeit geht der VwGH davon aus, dass eine von psychischen sowie physischen Zwängen befreite Willensbildung vorliegen muss. Es sind daher die für die Reise ausschlaggebenden Motive zu ermitteln. Auslieferungen und Abschiebungen sind nach der Rechtsprechung jedenfalls unfreiwillig. Gleiches gilt, wenn eine schon angetretene, freiwillige Reise aufgrund von Erkrankung oder ähnlichen Hindernissen gezwungenermaßen verlängert werden würde. Bei Erkundungsreisen wird das zentrale Motiv darin bestehen zu klären, ob eine Rückkehr in Zukunft stattfinden kann. Sollten keine zusätzlichen Motive hinzukommen, wird deshalb prima facie vom Vorliegen der Freiwilligkeit auszugehen sein.

Schlussendlich ist noch zu prüfen, ob eine Unterschutzstellungsabsicht und ein Normalisierungswille vorliegen. Auch hier sind die Motive der Reise relevant und darüber hinaus sämtliche die Person beeinflussenden Umstände zu berücksichtigen. Wiederkehrende Reisen zu Urlaubs- bzw wirtschaftlichen Zwecken sind dabei anders gelagert als zB einmalige Besuche von kranken oder alten Familienangehörigen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird die Unterschutzstellungsabsicht zudem bei Reisen in das Herkunftsland, im Unterschied zur erfolgreichen Neuausstellung eines herkunftsstaatlichen Reisepasses, nicht vermutet. Daher ist die Absicht bzw der Wille der betroffenen Personen, neben dem Ablauf des Aufenthalts sowie der Gefahrenlage im Herkunftsstaat, zu ermitteln und festzustellen. Gefahrenlage und Motive sind nach der Rechtsprechung des VwGH sodann objektiv und subjektiv zu gewichten, um zu beurteilen, ob von einer Unterschutzstellungsabsicht sowie einem Willen zur Normalisierung der Beziehungen zum Herkunftsstaat auszugehen ist.

Bei Erkundungsreisen kann davon ausgegangen werden, dass eine Unterschutzstellungsabsicht und der Normalisierungswille (noch) nicht vorliegen. Zweck dieser Reisen ist gerade nicht, dauerhaft nach Syrien zurückzukehren, sondern temporär zu erkunden, ob die Voraussetzungen für eine permanente Rückkehr gegeben sind. Je länger der Verbleib und je intensiver die Kontakte zu staatlichen Behörden jedoch sind, desto eher wird von einer Unterschutzstellungsabsicht und einem Normalisierungswillen ausgegangen werden können. Kehrt die erkundende Person indes nach Österreich zurück und entschließt sich gegen eine permanente Rückkehr nach Syrien, so wird auch eine Aberkennung der Asylberechtigung im Regelfall nicht in Frage kommen. Zudem ist derzeit nicht davon auszugehen, dass die staatlichen Behörden in Syrien effektiven Schutz vor Verfolgung gewährleisten können, was ebenfalls gegen eine Aberkennung im Falle von temporären Erkundungsreisen spricht.

 Fazit

 Führen Erkundungsreisen syrischer Schutzberechtigter zur Aberkennung ihres Status? „Es kommt darauf an“ muss die von Jurist:innen in der Tendenz übermäßig strapazierte, jedoch (auch) hier zutreffende Antwort lauten. Im Falle von subsidiär Schutzberechtigten existiert kein einschlägiger Aberkennungstatbestand für Erkundungsreisen. Bei asylberechtigten Personen darf indes zur Anwendung des Tatbestandes der freiwilligen Unterschutzstellung nicht von einer bloßen Anwesenheit in Syrien im Zuge einer Erkundungsreise darauf geschlossen werden, dass staatlicher Schutz (wieder) in Anspruch genommen wird. Effektiver staatlicher Schutz vor Verfolgung muss im Einzelfall vorhanden, die Erkundungsreise freiwillig erfolgt sein. Zudem muss im Einzelfall eine Unterschutzstellungsabsicht und ein Normalisierungswille nachgewiesen werden. Gerade die beiden letzten Kriterien werden bei Erkundungsreisen (nach Syrien) der Regel nach nicht vorhanden sein, sofern die Reisen angetreten werden, um zu klären, ob eine Rückkehr und damit eine neuerliche Inanspruchnahme des staatlichen Schutzes dort für die Einzelperson faktisch möglich und subjektiv gewollt ist. Zudem sprechen derzeitige Erkenntnisse über die Lage in Syrien noch nicht davon, dass effektiver staatlicher Schutz überhaupt vorhanden ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Aberkennungsverfahren bei Kenntniserlangung durch das BFA eingeleitet wird, ist jedoch in beiden Fällen hoch.


Der Autor dankt Mag. Sebastian Sperner sowie dem gesamten Redaktionsteam herzlich für die kritische Durchsicht des Beitrags.


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Kommentare

One thought on "Erkundungsreisen und freiwillige Unterschutzstellung: Möglichkeiten und Risiken angesichts der aktuellen Lage in Syrien"

  1. RAA Mag. René Zettl sagt:

    Es wird wohl noch zu differenzieren sein, auf welchen Fluchtgrund der Asylstatus beruht, denn durch den Sturz des Assad-Regimes ist für die meisten der Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK eingetreten.

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