Recht und Wissenschaft in Österreich

VfGH: Zu § 20 AsylG 2005


Der VfGH hat sich im heurigen Jahr in mehreren Fällen mit den Anforderungen des § 20 AsylG 2005 auseinandergesetzt. Nach dieser Bestimmung ist ein Asylwerber, der seinen Antrag auf internationalen Schutz mit Eingriffen in seine sexuelle Selbstbestimmung begründet, von einem Organwalter bzw. Richter desselben Geschlechts einzuvernehmen, sofern er nichts anderes verlangt.

Der VfGH wertet Verstöße gegen § 20 Abs. 2 AsylG 2005 in ständiger Rechtsprechung als Verletzung im Recht auf den gesetzlichen Richter (vgl. bereits VfSlg. 19.671/2012, 20.260/2018). In der Entscheidung zu E 1443/2023 (vom 19. September 2023) erkannte er eine entsprechende Verletzung der Beschwerdeführerin, einer syrischen Staatsangehörigen, da beim BVwG ein männlicher Richter über ihr Fluchtvorbringen, von Zwangsverheiratung bedroht gewesen zu sein, entschieden hatte. Da den Akten nicht zu entnehmen sei, dass spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde an das BVwG die Vernehmung durch einen männlichen Richter gemäß § 20 Abs. 2 iVm Abs. 1 AsylG 2005 verlangt worden wäre, hätte in dieser Sache eine weibliche Richterin verhandeln und entscheiden müssen.

Die Entscheidung zu E 1525/2022 (vom 9. März 2023) betrifft ebenfalls eine syrische Staatsangehörige. Die Frau hatte sowohl vor dem BFA als auch vor dem BVwG die besondere Gefährdung von Frauen in Syrien ins Treffen geführt und vorgebracht, dass es – etwa an Checkpoints – häufig zu Entführungen und Vergewaltigungen bzw. sexuellen Übergriffen auf Frauen käme. Wiederum hatte beim BVwG ein männlicher Richter entschieden. Der VfGH hält fest, dass die – aus § 20 Abs. 2 AsylG 2005 folgende – Zuständigkeit eines Organwalters desselben Geschlechts durch die entsprechende Behauptung vor dem BFA bzw. in der Beschwerde begründet wird, ohne dass dabei eine nähere Prüfung der Glaubwürdigkeit oder eines Zusammenhangs mit dem konkreten Fluchtvorbringen zu erfolgen hat. Auch ein drohender Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung begründet die Verpflichtung zur Einvernahme bzw. Entscheidung durch einen Organwalter desselben Geschlechts. Die Beschwerdeführerin ist daher durch das Erkenntnis in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden, da das BVwG durch einen Richter männlichen Geschlechts entschieden hat, obwohl im vorliegenden Fall § 20 Abs. 2 AsylG 2005 anzuwenden war und die Beschwerdeführerin ein Abgehen von der sich daraus ergebenden Zuständigkeit einer Richterin nicht verlangt hat. Vgl. dazu auch das Erkenntnis zu E 2390/2022 vom 13. Juni 2023 betreffend eine minderjährige syrische Staatsangehörige.

Die Entscheidung zu E 2724/2023 (vom 4. Oktober 2023) betrifft einen Staatsangehörigen der Republik Armenien. Er hatte im Asylverfahren geltend gemacht, in Armenien auf Grund seiner Homosexualität verfolgt und diskriminiert und von Zwangsverheiratung bedroht worden zu sein. In seiner Beschwerde an das BVwG hatte er u.a. das Verlangen gestellt, im Rahmen der Verhandlung vor dem BVwG von einer weiblichen Richterin und Dolmetscherin einvernommen zu werden. Das BVwG entschied durch einen männlichen Richter. Der VfGH hielt fest, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen (erfolgte und drohende) Eingriffe in sein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 2005 behauptet habe. Die Entscheidung durch einen Richter männlichen Geschlechts trotz Anwendbarkeit des § 20 Abs. 2 AsylG 2005 und dem ausdrücklichen Verlangen des Beschwerdeführers nach einem Abgehen von der sich daraus ergebenden Zuständigkeit eines Richters verletzt den Beschwerdeführer daher in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Die vom BVwG in seiner Gegenschrift dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken einer unsachlichen Ungleichbehandlung Fremder (weil Personen, die nicht von § 20 AsylG 2005 betroffen sind, kein Verlangen nach einer Richterin oder einem Richter stellen könnten) hält der VfGH schon auf Grund des Zwecks der in Rede stehenden Bestimmung (Abbau von Hemmschwellen bei der Schilderung von [auch Furcht vor] Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung) für nicht zutreffend.

Nähere Informationen zur Thematik finden sich auch in diesem Beitrag von Mag.a Lilian Hagenlocher.

Bearbeitet von: Dr.in Martina Lais


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