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Same Same, but Different? Was Diskriminierungsrecht bei der Aufnahme von Schutzsuchenden bewirken kann (Teil II)

12. September 2023 in Beiträge
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Tags: Diskriminierung, Massenzustrom-Richtlinie, TPD, Ukraine

Dr.in Julia Kienast, LL.M.

Dr.in Julia Kienast, LL.M. (Michigan) ist als Postdoktorandin an der Universität Aarhus, Dänemark beschäftigt. In ihrer Dissertation behandelte sie das Spannungsverhältnis im staatlichen Management von Massenmigration zwischen Effizienzbedarf und menschenrechtlicher Verantwortung.


Die erstmalige Aktivierung der EU Massenzustrom-Richtlinie für die Aufnahme von aus der Ukraine Vertriebenen wurde begleitet von einer lauten Diskussion rund um das Thema Diskriminierung. Denn die Öffnung der Grenzen gegenüber dieser Gruppe stand in starkem Gegensatz zur sonst gewählten Abschottungspolitik gegenüber Schutzsuchenden aus dem Mittleren Osten und Afrika, insbesondere seit der Krise 2015. In Teil II dieses Beitrags werden, in Hinblick auf die Frage der Diskriminierung im Rahmen von Artikel 14 EMRK, die Punkte der Vergleichbarkeit und Rechtfertigung aufgegriffen. Dadurch wird aufgezeigt, wie komplex sich der Vergleich von Massenzuströmen und die Analyse in Diskriminierungsfragen gestaltet, aber auch welches zusätzliche Potenzial darin besteht, Diskriminierungsschutz für Flüchtende gelten zu machen.

Unterschiedliche Behandlung von Personen in ähnlichen oder vergleichbaren Situationen

Bereits hinsichtlich der Vergleichbarkeit gibt es mehrere Argumente, warum die Situation für Ukrainer:innen außergewöhnlich gewesen sein könnte. Eines dieser Argumente ist die seit 2017 bestehende Befreiung von Ukrainer:innen mit biometrischem Pass von der Visumspflicht für Kurzaufenthalte, wie etwa Geschäftsreisen, touristische Aufenthalte oder Familienbesuche von bis zu 90 Tagen. Diese hatten daher auch in den ersten drei Monaten ihrer Flucht kein rechtliches Hindernis für ihren Zugang zur EU. Es mag also argumentiert werden, dass sie aufgrund ihres regulären Einwanderungsstatus nicht mit den irregulär eingereisten Personen, bspw. von 2015, vergleichbar sind.

Meines Erachtens fallen derartige Überlegungen unter das „staatliche Interesse“, welches erst im Rahmen der Rechtfertigung der Maßnahmen zu beurteilen ist. Denn auch andere Personen, die um Asyl ansuchen, haben während des Verfahrens ein Bleiberecht und ein Recht auf Zugang zur EU. Die Visafreiheit der Ukrainer:innen hätte ihnen ebendiesen Zugang erleichtert, jedoch keine sonstige Unterstützung und keinen Aufenthalt über drei Monate hinaus gewährt. Die Aktivierung der TPD selbst zeigt, dass sie Schutzsuchende waren und nicht für geschäftliche oder touristische Zwecke in die EU reisten. Die Visafreiheit kann daher nicht ausschlaggebend für die Vergleichbarkeit der Situation von Schutzsuchenden sein. Vielmehr müssen all jene, die im Rahmen eines Massenzustroms Schutz suchen und prima facie einen Grund für die Gewährung – zumindest subsidiären Schutzes – haben, als Personen betrachtet werden, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden. Der Mangel einer konkreten Definition von „Massenzustrom“ sei hier nur angemerkt.

Ausschlaggebend ist weiters, ob die unterschiedliche Behandlung auf einem Verbotsgrund beruht. In Frage kommen hier einige der in Artikel 14 EMRK aufgelisteten verpönten Merkmale. Welches davon nachgewiesen wird, kann richtungsweisend für das Ergebnis sein. Unterscheidungen aufgrund der Nationalität oder nationalen Herkunft lässt der EGMR nur bei schwerwiegenden Gründen zu. Eine Ungleichbehandlung, die auf der ethnischen Herkunft einer Person beruht, bzw rassistische Diskriminierung, kann grundsätzlich nicht gerechtfertigt werden. Eine Ungleichbehandlung alleine aufgrund der Religion kommt rassistischer Diskriminierung gleich. Darüber hinaus hat der EGMR auch den Status als anerkannter Flüchtling und den Status einer abgelehnten Asylwerberin unter dem Wortlaut „sonstiger Status“ subsumiert.

Die Unterscheidung zwischen Ukrainer:innen und anderen Schutzsuchenden mag teils offensichtlich wirken. Jedoch kann sich die Beweisführung im Einzelfall schwierig gestalten. Da auch indirekte, praktische Diskriminierung ohne Vorsatz den Tatbestand erfüllen kann, geht der EGMR jedoch in Diskriminierungsfällen regelmäßig vom Prinzip der Beweislast der Beschwerdeführenden ab: Wenn die unterschiedliche Behandlung nachgewiesen werden kann, fällt die Beweislast hinsichtlich der Rechtfertigung dem Staat zu. Wenn Behörden das ausschließliche Wissen über die Situation verfügen oder es praktisch extrem schwierig wäre, Diskriminierung nachzuweisen, geht der EGMR manchmal sogar von einer Beweislastumkehr aus. Die teils unverblümten Äußerungen in Medien oder etwa Polens Argument vor dem EuGH, dass es zu „ethnisch homogen“ sei, um Schutzsuchende von Griechenland und Italien zu übernehmen, bieten möglicherweise Chancen diesen Nachweis zu erbringen. Auch Statistiken können als prima facie Beweis dienen.

Mögliche staatliche Rechtfertigungen der Ungleichbehandlung

Geht man davon aus, dass Staaten das Recht haben, den Zugang zu ihrem Hoheitsgebiet zu regeln und Migration zu kontrollieren, kann eine Zugangsbeschränkung grundsätzlich unter diesem legitimen Ziel gerechtfertigt sein, solange sie u.a. nicht gegen das Flüchtlingsrecht oder Menschenrechte verstößt.

Darüber hinaus mag es weitere staatliche Interessen geben, die die Aktivierung der TPD speziell für Ukrainer:innen legitimieren: die bereits erwähnten Visaprivilegien, der Mangel an „Pufferstaaten“ zwischen der EU und der Ukraine, das absehbare Ausmaß der Vertreibung aus der Ukraine (derzeit ca. 4 Mio. in der EU im Unterschied zu ca. 2,3 Mio. 2015/16), die Annahme einer stärkeren Solidarität in der Zivilgesellschaft, die Hoffnung auf ein rasches Kriegsende, außenpolitische Erwägungen usw. Die Legitimität des Sonderregimes der TPD wird auch nicht angezweifelt. Aufgrund der vorhersehbaren Anzahl der Ankünfte scheint es für das ordnungsgemäße Funktionieren verschiedener staatlicher Systeme sowie die Sicherheit der Betroffenen sinnvoll, spezielle Maßnahmen zu ergreifen.

Die Aktivierung der TPD zeigt allerdings, dass die zuvor gegen ihre Aktivierung ins Treffen geführten Argumente, z.B. sicherheitsrechtlicher Natur, sich als unrichtig erwiesen haben. Es ist bspw. nicht ersichtlich, warum die Aktivierung der TPD nicht auch 2015/16 sinnvoll und möglich gewesen wäre oder warum Schutzsuchenden an der belarussischen Grenze kein Zugang zum Asylverfahren gewährt werden könnte. Selbst unter Annahme von legitimen Zielen zeigt die Aktivierung der TPD, dass es gelindere Mittel im Umgang mit Massenzustrom gibt.

Zuletzt ist auch anzuzweifeln, dass eine solche Ungleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zum Hoheitsgebiet der EU in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel der Migrationskontrolle steht. Die Abwägung zwischen den individuellen Interessen und den genannten staatlichen Interessen ist regelmäßig der kritische Punkt in der EGMR-Beurteilung. Selbstverständlich kommt es dabei immer auf die Umstände des Einzelfalles an und, wie bereits ausgeführt, spielt hierbei auch der Diskriminierungsgrund eine große Rolle. Bei einer Ungleichbehandlung aufgrund der ethnischen Herkunft besteht die Vermutung, dass sie diskriminierend ist, und es ist unwahrscheinlich, dass der Gerichtshof sie als verhältnismäßig ansehen würde. Wenn jedoch festgestellt wird, dass die Unterscheidung auf der Grundlage eines „sonstigen Status“ erfolgt, z.B. des regulären oder irregulären Migrationsstatus, würde der EGMR dem Staat einen größeren Ermessensspielraum einräumen.

Fazit

So offensichtlich und ungerecht Unterscheidungen zwischen Schutzsuchenden aufgrund ihrer Nationalität oder Abstammung auf den ersten Blick wirken mögen, so schwierig und feinteilig ist die Durchsetzung des Diskriminierungsschutzes. Das zeigt die hier unternommene Analyse der Bevorzugung von Vertriebenen aus der Ukraine durch die Aufnahme unter die EU Massenzustrom-Richtlinie.

Es waren vor allem problematische politische Aussagen, die die Aktivierung der TPD im Frühling 2022 begleiteten und damit für Aufregung sorgten. Die schnelle Aufnahme der Vertriebenen selbst stellt aus einer Diskriminierungsperspektive jedoch keine Rechtsverletzung dar. Im Gegenteil zeigt die erstmalige Anwendung der TPD, dass auch in Krisensituationen ein menschenrechtskonformes Vorgehen gegenüber Schutzsuchenden möglich ist, und sie wirft damit einen langen Schatten auf die ansonsten vorherrschende Abschottungspolitik. All jene, die von letzterer betroffen sind, haben Grund, Gleichbehandlungsansprüche in Erwägung zu ziehen und können damit auf einen weiterreichenden Schutz gegenüber anderen materiellen Rechten bauen. Darin besteht grundsätzlich ein großes, bisher zu wenig ausgeschöpftes Potential.

Der Durchsetzung stehen allerdings einige Hindernisse im Weg und das Ergebnis wird immer vom Einzelfall abhängig sein. Grundsätzlich kann von der Vergleichbarkeit von Personen, die im Rahmen eines Massenzustroms internationalen Schutz suchen und prima facie einen Grund für die Gewährung dieses Schutzes haben, ausgegangen werden. Selbst wenn Staaten legitime Gründe für diverse Sonderregime in solchen Situationen vorweisen können, kommt es letztendlich auf deren Verhältnismäßigkeit gegenüber den Rechtseingriffen an. Neben Schwierigkeiten der Beweisführung stellt insbesondere die teils inkonsistente und oberflächliche Abwägung des EGMR hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen ein großes Risiko dar. Wie die oben angeführten Beispiele zeigen, scheint es aber zumindest eine Tendenz zu geben, auch Immigrationsstatus als Verbotsgrund anzuerkennen und bei rassistischen Motiven zumindest eine Beweislastumkehr anzunehmen. Insofern bleibt es den Versuch wert, Beschwerden nicht nur auf die materiellen EMRK-Rechte, sondern auch auf Artikel 14 EMRK zu stützen.


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