Ein afghanischer Staatsangehöriger stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, die Cousins seines Vaters drohten ihm mit Blutrache. Grund für die Blutfehde sei eine Grundstücksstreitigkeit zwischen seinem Vater und dessen Cousins gewesen, im Zuge derer bereits der Vater und ein Bruder des Mitbeteiligten getötet worden seien. Das Bundesverwaltungsgericht erkannte dem Mitbeteiligten im fortgesetzten Beschwerdeverfahren (neuerlich) den Status des Asylberechtigten zu. Begründend führte es aus, der Mitbeteiligte sei der Gefahr der Tötung durch die Cousins seines Vaters allein aufgrund seiner Verwandtschaft zum Vater ausgesetzt. Die für die Asylrelevanz einer Verfolgung notwendige Anknüpfung an einen Konventionsgrund sei daher gegeben, weil der Mitbeteiligte der Gruppe von Familienmitgliedern angehöre, die von Blutrache bedroht seien.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl machte in seiner dagegen erhobenen Amtsrevision geltend, es sei im Hinblick auf Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie nicht geklärt, ob eine Familie (oder ein Teil einer Familie) eine soziale Gruppe bilde, wenn Feststellungen dazu fehlten, dass die Familie (oder deren Mitglieder) von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig gesehen werde.
Der Verwaltungsgerichtshof sah sich anlässlich der im Revisionsfall (und im Übrigen auch unter den Mitgliedstaaten und in der asylrechtlichen Literatur) strittigen Frage, ob die Familie als soziale Gruppe im Sinn der Statusrichtlinie gilt, veranlasst, an den EuGH heranzutreten. In diesem Zusammenhang identifizierte der VwGH drei sich aus der Wendung des Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie „die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird“ ergebende ungelöste Problemfelder: a) die Frage, wann eine Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität habe (Vorlagefragen 1. und 2.), b) die Klärung jener Gesichtspunkte, nach denen sich die eine Gruppe „umgebende Gesellschaft“ bestimme (Vorlagefrage 3.) und c) die Frage, wann von dieser Gesellschaft eine Gruppe als „andersartig“ betrachtet werde (Vorlagefrage 4.).
Zu den Vorlagefragen 1. und 2. hielt der VwGH fest, dass zu klären sei, ob das Bestehen einer deutlich abgegrenzten Identität einer Gruppe davon abhänge, dass sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werde. Bestünde ein solches Kausalitätsverhältnis (die Verwendung des hier mit dem Wort „weil“ gleichzusetzenden Wortes „da“ lege ein solches Verständnis nahe), erübrige sich eine separate Prüfung der „deutlich abgegrenzten Identität“. Anderenfalls wäre zu klären, nach welchen Kriterien das Vorliegen einer „deutlich abgegrenzten Identität“ zu prüfen sei.
Die 3. Vorlagefrage ziele, so der VwGH, darauf ab, zu klären, auf welchen Blickwinkel der Unionsgesetzgeber abstelle, wenn zu prüfen sei, ob die umgebende Gesellschaft die soziale Gruppe als andersartig betrachte. Denkbar sei, diese Frage aus der Sicht des Verfolgers zu beurteilen. Es könne aber auch die Sicht der Gesellschaft als Ganzes (oder eines wesentlichen Teils der Gesellschaft) im Herkunftsstaat oder in der Herkunftsregion gemeint sein, was nach Auffassung des VwGH auch die Kenntnis von der Existenz dieser Gruppe in den maßgeblichen Teilen der Gesellschaft voraussetze.
Zudem stellte sich für den VwGH im Rahmen der 4. Vorlagefrage nach den Kriterien für die Beurteilung der „Andersartigkeit“ insbesondere die Frage, ob der Begriff jegliches „anders sein“ erfasse oder eine Abwertung bzw. Stigmatisierung der Gruppe durch die sie umgebende Gesellschaft verlange.
Bearbeitet von: Mag.a Stefanie Haller, BA