Der Beschwerdeführer, ein heute 33-jähriger syrischer Staatsangehöriger, stellte am 06.03.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren im Wesentlichen vor, dass er, wohnhaft in einem vom syrischen Regime kontrollierten Gebiet, fürchte, in den Militärdienst einberufen zu werden, zumal er an keinen Kriegshandlungen teilnehmen wolle. Er habe zunächst während seines Studiums an der Universität mehrmalige Aufschübe vom Militärdienst erhalten. Als ihm, im Alter von 26 Jahren, kein weiterer Aufschub bewilligt worden sei, sei er 2017 legal in den Irak ausgereist, wo er bis 2021 als legal aufhältiger syrischer Staatsbürger einen abermaligen Aufschub erhalten habe. Er habe dort, im Irak, mit diversen beruflichen Tätigkeiten seinen Lebensunterhalt bestritten, bis er im Jänner 2023 nach Europa ausgereist sei.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigten ab, erkannte dem Beschwerdeführer aber den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu. Die Abweisung des Status des Asylberechtigten wurde vom Bundesamt im Wesentlichen damit begründet, dass dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offenstehe, sich durch Zahlung einer Gebühr von der Einziehung in den Militärdienst befreien zu lassen, wodurch er den in Art. 9 Abs. 2 lit. c bzw. e der StatusRL umschriebenen Verfolgungshandlungen entgehen könne. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine Beschwerde ans BVwG.
Das BVwG war sich im Unklaren über die Auslegung der einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmung des Art. 9 Abs. 2 der StatusRL und legte dem EuGH daher vier im Folgenden zu erläuternde Fragen zur Vorabentscheidung vor.
In den Erläuterungen zu den Vorlagefragen führte das BVwG aus, dass dem Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr nach Syrien, wie den Länderberichten zu entnehmen sei, aufgrund seiner Weigerung, Militärdienst zu leisten, eine unverhältnismäßige Bestrafung nach Art. 9 Abs. 2 lit. c StatusRL bzw. eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, in dem der Militärdienst Kriegsverbrechen umfassen würde, nach lit. e leg. cit. drohe. Das BVwG verwies auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach die Weigerung dem Militärdienst beizutreten das einzige Mittel darstellen müsse, um sich der Beteiligung an Kriegsverbrechen gem. Art. 12 Abs. 2 lit. a der StatusRL zu entziehen. Es obliege des Weiteren dem Beschwerdeführer, zu beweisen, dass ihm in seiner konkreten Situation kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zur Verfügung stand (EuGH 26.02.2015, Shepherd, C-472/13, EU:C:2015:117, Rn. 44 und 45). Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung und dem Umstand, dass in Syrien keine formalisierten Verfahren für die Verweigerung des Militärdienstes zur Verfügung stehen würden, stellte sich dem BVwG folgende erste Frage, die es dem EuGH zur Auslegung vorlegte:
Ist Art. 9 Abs. 2 lit. e der StatusRL dahin auszulegen, dass die Möglichkeit der Zahlung einer in einem Herkunftsstaat gesetzlich vorgesehenen Gebühr, die von der Verpflichtung zur Ableistung eines Militärdienstes befreien würde, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung ausschließt, wenn die Zahlung einer solchen Gebühr das einzige Mittel darsteopllt, um einer Einziehung zu diesem Militärdienst zu entgehen?
Das BVwG gibt insofern zu bedenken, dass dies mit dem Argument verneint werden könnte, dass die Zahlung einer Geldleistung an einen in einem kriegerischen Konflikt stehenden Staat, dem nach Art. 12 Abs. 2 lit. a der StatusRL relevante Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, eine indirekte Beteiligung an solchen Verbrechen oder Handlungen darstellen könne. Es wendet aber zugleich ein, dass in einem solchen Falle u.U. auch ein (ziviler) Ersatzdienst als eine indirekte Unterstützungsleistung zu qualifizieren sein könnte.
Für den Fall der Bejahung der ersten Vorlagefrage stellte sich dem BVwG die Folgefrage (Frage 1.a.), ob auch die konkrete, in diesem Verfahren betroffene Befreiungsgebühr in Syrien ein solches Mittel darstellen könne, um sich der Beteiligung von Kriegsverbrechen zu entziehen. Für das BVwG war in diesem Zusammenhang allerdings fraglich, ob einer derart ausgestalteten Gebühr ein Strafcharakter (punitiver Charakter) zukomme. Dieser würde von der Literatur sowie von UNHCR für das Bestehen einer begründeten Furcht vor Verfolgung aufgrund von Wehrdienstverweigerung vorausgesetzt. Es sei daher vom EuGH zu beantworten, nach welchen Kriterien der punitive Charakter einer Gebühr zu beurteilen sei.
In einer zweiten Folgefrage (Frage 1.b.) bat das BVwG den EuGH des Weiteren um die Klarstellung, ob, wie vom BVwG angenommen, die Möglichkeit der Zahlung einer Befreiungsgebühr das Vorliegen einer Verfolgungshandlung nicht nur i.S.d. Art 9 Abs. 2 lit. e StatusRL, sondern auch i.S.d. der lit. c leg. cit. ausschließe.
Die zweite dem EuGH vorgelegte Frage betraf den Umstand, dass der Beschwerdeführer unter Berufung auf seine oppositionelle Einstellung gegenüber dem syrischen Regime unter Bashar Al-Assad die Zahlung der Befreiungsgebühr abgelehnt habe. Die Vorlagefrage zielte daher auf Klärung dessen ab, ob überhaupt und bejahendenfalls inwieweit eine religiöse bzw. moralische Grundhaltung oder politische Meinung bzw. Überzeugung, auf die sich die Weigerung eines Beschwerdeführers, eine Befreiungsgebühr zu leisten, stütze, das Vorliegen einer Verfolgungshandlung ausschließe.
Die dritte Vorlagefrage diente der Feststellung des für die Beurteilung der Erstfrage maßgeblichen Zeitpunkts. Die Frage lautete also, ob bei der Beurteilung des Ausschlusses einer Verfolgungshandlung aufgrund des Leistens einer Befreiungsgebühr auf den Zeitpunkt der behördlichen bzw. gerichtlichen Entscheidung oder auf einen vor der Flucht gelegenen Zeitpunkt abzustellen sei. Einen Hinweis für das Zutreffen ersteren Zeitpunkts sah das BVwG in der Vorgabe Art. 46 Abs. 3 der Verfahrensrichtlinie, wonach das Gericht eine „umfassende Ex-nunc“-Prüfung der Beschwerde vorzunehmen habe, was das Gericht verpflichte, auch neue, nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung entstandene Anhaltspunkte zu berücksichtigen. Gegen diese Interpretation sei, so das BVwG, aber einzuwenden, dass der EuGH in oben zitierter Entscheidung von der Verfügbarkeit eines formellen Verfahrens zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer in der Vergangenheitsform sprach („zur Verfügung stand“).
Schließlich (Frage 4) legte das BVwG dem EuGH zur Vorabentscheidung vor, ob die Verordnung Nr. 36/2012 des Rates vom 18.01.2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 442/2011 dem Mittel der Bezahlung einer Befreiungsgebühr durch im Hoheitsgebiet der EU-Mitgliedstaaten aufhältige syrische Staatsangehörige an den syrischen Staat zur Vermeidung einer Verfolgungshandlung entgegenstehe. Mit dieser Verordnung habe die EU das syrische Regime mit Sanktionen belegt, was mit Art 14 Abs. 2 der Verordnung auch Geldflüsse an gewisse natürliche und juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen, die in den Anhängen II und IIa angeführt seien, umfasse. Zunächst stellte sich hier für das BVwG die Frage, ob die Verordnung überhaupt auf in der EU aufhältige syrische Staatsangehörige anwendbar sei. Bejahendenfalls sei weiters unklar, ob es sich bei den Befreiungsgebühren um „Gelder“ i.S.d. Verordnung handle. Schließlich sei klärungsbedürftig, ob der – nicht genau feststehende – Adressat der Befreiungsgebühr unter das Verbotsregime der genannten Anhänge der Verordnung falle.
Bearbeitet von: Mag. Elias Faller, BA