Einleitung
Trans* Menschen sind gemäß der UNHCR-Richtlinien Nr. 9 „Menschen, deren geschlechtliche Identität oder Ausdrucksweise sich vom biologischen Geschlecht unterscheidet, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.“ Transgender betrifft die geschlechtliche Identität und nicht – wie mitunter angenommen – die sexuelle Orientierung. Vielmehr können trans* Menschen homo-, hetero- oder bisexuell ausgerichtet sein. Sie sind Teil der Sammelbezeichnung LGBTIQ*, die lesbische, homosexuelle, bisexuelle, trans*, inter* und queere Personen sowie alle weiteren Personen mit Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen, die nicht den heteronormativen Standards entsprechen, umfasst. Im Folgenden wird daher beleuchtet, wie die Verfolgung aufgrund von Transgeschlechtlichkeit – auch bei Überlagerung mit weiteren Dimensionen – zu bewerten ist und vor allem in der bisherigen nationalen Rechtsprechung bewertet wurde.
Asylrelevanz von Transgeschlechtlichkeit
Flüchtling iSd Art 1 A Z 2 GFK ist, wer wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der „Rasse“, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung hat und sich außerhalb des Herkunftslandes, in dem kein Schutz gewährt wird, befindet. Seit der Neufassung der QualifikationsRL (2011/95/EU) wird eine Verfolgung aufgrund geschlechtsbezogener Aspekte einschließlich der geschlechtlichen Identität explizit als flüchtlingsrelevant und als Anwendungsfall der sozialen Gruppe anerkannt (vgl. Art 10 Abs 1 lit d QualifikationsRL). Ob trans* Personen als eine bestimmte Gruppe – konkret als „soziale Gruppe der Transgender-Personen“ – angesehen werden können, hängt vom kumulativen Vorliegen zweier Voraussetzungen ab: dem Bestehen eines gemeinsamen Gruppenmerkmals sowie einer abgrenzbaren Identität der trans* Personen gegenüber der übrigen Gesellschaft im Herkunftsstaat (vgl. VwGH 21.6.2023, Ra 2021/19/0406, Rz 18; vgl. EuGH 7.11.2013, Rs C-199/12 bis C-201/12, Rz 41-49; EUAA, Practical Guide on Membership of a Particular Social Group, 2nd edn, May 2025, 27 ff).
Daneben können weitere Verfolgungsgründe, die geschlechterbezogene Dimensionen aufweisen und (un-)abhängig von einer Transgeschlechtlichkeit bestehen, auftreten. Ein Beispiel: Werden Beschränkungen der Meinungsfreiheit im Internet festgestellt und Personen aufgrund ihrer regierungskritischen Online-Posts und privaten Chat-Nachrichten inhaftiert, so kann die Verfolgung auch politisch motiviert sein (vgl. VfGH 16.9.2024, E 1046/2024, betreffend eine politisch aktive „Trans-Frau“ aus China). Auch kann es zu Überlagerungen kommen, wenn eine trans* Person die nicht-heteronorme sexuelle Orientierung erfüllt (vgl. VwGH 21.6.2023, Ra 2021/19/0406, betreffend eine homosexuelle trans* Person). Da es oftmals zu Interferenzen von geschlechtlicher Identität und weiteren verfolgungsrelevanten Dimensionen kommt, ist die geschlechterbezogene Verfolgung regelmäßig nicht eindeutig abgrenzbar. Umso wichtiger ist es daher, dass das BVwG anhand der Länderfeststellungen überprüft, mit welchen Verfolgungshandlungen die trans* Person bei Rückkehr in ihr Heimatland und durch das Ausleben ihrer Transgender-Identität konkret konfrontiert wäre, sowie ob staatlicher Schutz in Anspruch genommen werden könnte; ob eine „Vorverfolgung“ stattgefunden hat, ist nicht maßgeblich (vgl. VwGH 21.6.2023, Ra 2021/19/0406).
Die besondere Verfolgungsgefahr transgeschlechtlicher Asylsuchender ergibt sich daraus, dass ebenjene die zweigeschlechtlichen normativen Erwartungshaltungen nicht erfüllen (sog Nonkonformismus). Im Bereich der ohnehin marginalisierten Gruppe der LGBTIQ*-Personen gelten trans* Personen, die von der Öffentlichkeit aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes als männlich wahrgenommen werden, sich jedoch aufgrund ihrer sexuellen Identität feminin kleiden und z.B. schminken, als am stärksten gefährdete Gruppe und besonders vulnerabel (BVwG 14.9.2021, W215 2207187-1). Aufgrund ihrer sichtbaren Merkmale sind sie leichter zu identifizieren und schließlich zu diskriminieren. Verfolgungserfahrungen können daher stark abhängig von der (Un-)Sichtbarkeit der Transgeschlechtlichkeit sein.
Transgeschlechtlichkeit und Homosexualität
Transgeschlechtlichkeit wird fälschlicherweise oft als Unterfall von Homosexualität angenommen. Diese Gleichsetzung ist jedoch problematisch: Es kann zur Heranziehung thematisch verfehlter Länderberichte, Bezugnahmen auf andere Verfolgungsgründe und im Ergebnis zu einer falschen Einschätzung des einzelfallbezogenen Verfolgungsrisikos kommen. Dessen ungeachtet kann das „discretion requirement“, das sich auf das Geheimhalten der sexuellen Orientierung von Homosexuellen bezieht (EuGH 7.11.2013, Rs C-199/12 bis C-201/12) nach der Rechtsprechung des VwGH auch auf trans* Menschen angewendet werden: „Angehörige sexueller Minderheiten, wie insbesondere Bisexuelle, Intersexuelle oder Transgender-Personen“ müssen ihre sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität nicht geheim halten, um eine Verfolgung zu vermeiden (VwGH 29.6.2023, Ra 2022/01/0285, Rz 13).
(Hypothetische) Geschlechtsumwandlung als Beseitigung der Verfolgungsgefahr?
Das BVwG hat in W215 2241567-1 vom 27.7.2022 die Verfolgungsgefahr einer „Trans-Frau“ ausschließlich damit verneint, dass der Beschwerdeführerin nach erfolgter Geschlechtsumwandlung in Österreich in ihrem Heimatland (Georgien) die Registrierung als Frau offenstünde. Die Beweiswürdigung des BVwG mutet – wie vom VwGH zurecht erkannt – skurril an: Das BVwG hat „in unzulässiger Weise [seine Entscheidung] allein mit dem Eintritt eines zukünftigen Ereignisses [– der Durchführung der beabsichtigten Geschlechtsumwandlung –] begründet bzw. auf die Prämisse, der Revisionswerber kehre als Frau nach Georgien zurück, gestützt“ (VwGH 29.6.2023, Ra 2022/01/0285, Rz 19). Das BVwG hätte sich mit der konkreten asylrelevanten Verfolgungsgefahr der trans Frau als trans* Mensch im Fall einer Rückkehr auseinandersetzen müssen; dies insbesondere vor dem Hintergrund der LGBTIQ*-feindlichen Situation im Herkunftsland unter Bezugnahme auf die der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte. Allein die Tatsache, dass sich die trans Frau im konkreten Fall einer Geschlechtsumwandlung in Österreich unterziehen wollte und sich im Heimatland als Frau registrieren lassen kann, darf letztlich nicht zur Nicht-Gewährung von Asyl führen. Auch darf nicht übersehen werden, dass die Umwandlung des angeborenen Geschlechts nicht allein durch einen medizinischen Eingriff erfolgt – es bedarf einer Vielzahl von persönlichen, rechtlichen und medizinischen Anpassungen. Aus diesem Grund spricht sich UNHCR dafür aus, geschlechtsumwandelnde Operationen bzw. deren Fehlen nicht überzubewerten. Unabhängig davon kann die Verfolgungsgefahr auch nach einer Geschlechtsumwandlung aufgrund der „atypischen Anatomie“ des trans* Menschen weiter bestehen – nicht unerhebliche Diskriminierungen in Alltagssituationen sind möglich (VwGH 21.6.2023, Ra 2021/19/0406).
Benennungspraxis
Grundsätzlich erfreulich ist die Benennungspraxis von trans* Menschen in der Rechtsprechung. So führt das BVwG in einer Entscheidung aus: „Die beschwerdeführende Partei führt den Geschlechtseintrag „männlich“, sieht bzw. fühlt sich allerdings als Frau und wird daher im Folgenden als Beschwerdeführerin bezeichnet“ (BVwG 26.2.2024, W242 2268287-1). Erwähnenswert ist ferner das Erkenntnis BVwG 14.9.2021, W215 2207187-1, in welchem die Benennung als „Beschwerdeführerin“ „auf Grund des in der Beschwerdeverhandlung ausdrücklich geäußerten Wunsches“ erfolgt. In einer Entscheidung bedient sich das BVwG durchgehend genderneutralen Formulierungen wie „beschwerdeführende Partei“ (BVwG 27.7.2022, W215 2241567-1), im folgenden Erkenntnis des VwGH wird die trans* Person jedoch als „georgischer Staatsangehöriger“ oder „Revisionswerber“ bezeichnet (VwGH 29.6.2023, Ra 2022/01/0285).
Fazit
Die höchstgerichtliche Rechtsprechung ist äußerst positiv zu bewerten. Wünschenswert wäre, dass ebenjene zu einer erhöhten Sensibilität des BFA und des BVwG im Umgang mit dem Vorbringen einer Transgeschlechtlichkeit führt. Insbesondere sollten bereits im Verfahren vor dem BFA – wenigstens in erster Instanz – die Länderfeststellungen zur LGBTIQ*-Situation im Heimatland der trans* Person entsprechend gewürdigt und die wesentlichen Feststellungen für eine rechtsrichtige Entscheidung getroffen werden.
Zur erwähnten Rechtsprechung des VfGH betreffend eine politisch aktivistische trans* Person aus der Volksrepublik China: siehe den Rechtsprechungsbeitrag vom 4.10.2024 sowie betreffend die Geheimhaltung von Homosexualität die Blogbeiträge vom 9.11.2022 sowie vom 14.11.2022.
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Begriffsdefinitionen entsprechend den Yogyakarta-Prinzipien
„Geschlechtliche Identität“: Das tief empfundene innere und persönliche Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, das mit dem Geschlecht, das der betroffene Mensch bei seiner Geburt hatte, übereinstimmt oder nicht übereinstimmt; dies schließt die Wahrnehmung des eigenen Körpers (darunter auch die freiwillige Veränderung des äußeren körperlichen Erscheinungsbildes oder der Funktion des Körpers durch medizinische, chirurgische oder andere Eingriffe) sowie andere Ausdrucksformen des Geschlechts, z.B. durch Kleidung, Sprache und Verhaltensweisen, ein.
„Sexuelle Orientierung“: Die Fähigkeit eines Menschen, sich emotional und sexuell intensiv zu Personen desselben oder eines anderen Geschlechts oder mehr als einen Geschlechts hingezogen zu fühlen und vertraute sexuelle Beziehungen mit ihnen zu führen.
(Weiterführende) Literatur:
Hübner, Fluchtgrund sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität: Auswirkungen von heteronormativem Wissen auf die Asylverfahren LGBTI-Geflüchteter, Feministische Studien 2/2016, 242
Joyce, Fakten über Transgender (2024)
Schittenhelm, Geschlechterbezogene Verfolgung und ihre Beurteilung in Asylverfahren. Die Umsetzung von UNHCR- und EU-Richtlinien am Beispiel von Schweden, GENDER 2/2018, 33
Sußner, Flucht – Gender – Sexualität. Eine menschenrechtsbasierte Perspektive auf Grundversorgung und Asylstatus (2020)